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: Der Good-Spirit-Virus erreicht die Liga

Die seit der Weltmeisterschaft taktisch geschulten Fußballbeobachter fürchten sich zum Bundesligaauftakt vor dem hinterhältigen Defensivschurken

Jetzt, wo wir statt Sommerpause dank ZDF und WM viel System- und Taktikschule von Klopp und Co. hatten, wissen wir Dinge, die wir womöglich lieber gar nicht wissen wollen würden, könnten wir es uns aussuchen und sie wieder vergessen.

Ahnungslosigkeit macht manchmal angenehm unbefangen. Hingegen vermittelt zu ausführliches Fußballschulfernsehen viele traurige Einsichten in die Destruktivität der Moderne, zumindest die Moderne der aktuellen Gegenwart. Statt Fantasien über beherzte Offensivvarianten des an sich so wunderbaren Fußballspiels nachzuhängen, müssen wir uns seit diesem WM-Sommercamp sorgen. Überall massige Destruktion, überall ängstliche Abwehrreaktionen. Zum Beispiel der gefürchtete Doppelsechser, dieser hinterhältige Defensivschurke. Nach seinem Herumschleichen in künstlich euphorisierten WM-Spielen droht er nun im ohnehin eher robusten Bundesligaalltag mit seinem Schild der Spielzerstörung alles niederzumachen. Angeblich jedenfalls.

Wenn wir Glück haben, ist er – so wie der ganze Abwehrpragmatismus – nur eine leere Drohung. Gegen wen sollte Werder Bremen schon ernsthaft mit zwei Sechsern spielen. In dieser Liga? Mit ihrem uncharismatischen Alltag zwischen Berlin, Wolfsburg und Aachen, ihrem Provinzialismus innerhalb der Kader. Außer dass Miroslav Klose jetzt ein Superstar ist und Philipp Lahm ein einfacher Star, ist starmäßig nicht viel Neues los. Vielleicht wird aus jungen Zugewanderten wie Vincent Kompany beim HSV oder Diego bei Bremen etwas. Bei den Zugängen von Schalke und Bayern kann es keine Neuentdeckungen geben, eingekauft wurden wie üblich vorgezogene und schon bekannte Starpflänzchen der Ligakonkurrenz.

Ungewiss lediglich, ob all die einheimischen WM-Helden nicht sehr müde und nur mäßig spielfreudig sind. Nachdem sie statt somnambuler Sommerpause auf Sardinien ein halböffentliches Motivationsseminar im Grunewald hinter sich haben. Vermutlich trauern sie auch bis heute dem tollen Gemeinschaftserlebnis nach. Noch bedenklicher als dieses Elitentrauma ist allerdings, dass sich der Good-Spirit-Virus inzwischen überall einnistet. Jede mittelmäßig schlechte Mannschaft im Formtief verkündet, sie betreibe gerade Teambuilding. Das selige Verschwimmen in Masse und Losungen ist en vogue. Beim BVB prangt ein albernes Ausrufezeichen auf dem – ansonsten so schön designten – Retro-Trikot. Schalke hat sich mit dem lächerlichen Leibchenslogan „Totale Dominanz“ fit gemacht, trägt aber im echten Spielbetrieb dann doch nur ein Versicherungsunternehmen spazieren.

Das immerhin ist weniger auffällig als die Deutsche Bahn, der neue Sponsor von Hertha BSC. Problem eins: Kicker mit riesigem DB-Logos auf den Klamotten sehen aus wie eine Bahnbetriebssportgruppe. Das Ordnungspersonal dazu erweckt den Anschein, es werde einem gleich erst die Eintrittskarte abstempeln, dann Uefa-Cup-Zuschlag verlangen und sich schließlich für die Verspätung Richtung Champions League entschuldigen. Ansonsten macht Hertha wie immer alles richtig. Es hat seinen Star Marcelinho abgeschafft und setzt nun ganz auf Teambuilding und zwar mit jungen Spielern. Zwar nur wegen grassierenden Geldmangels, aber egal, diese Saison ist in Berlin Zug drin. Hier erkennt man übrigens DB-Problem zwei: Die Bahn provoziert pausenlos die blödesten Sprachbild-Kalauer.

Die gute Nachricht zum Schluss: Es gibt ein Leben jenseits dieser Liga. Auf den ersten Blick sieht die Zweite Liga sehr vielversprechend aus, zwar nicht nach großem Fußball, aber doch nach großem Vergnügen. Na dann!

KATRIN WEBER-KLÜVER