unterm strich
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Mit ein wenig Abstand und zynischem Humor könnten einem diese riesigen Kunstdiebstähle in Russland ja wie eine soziale Plastik über das Verhältnis von kulturellem und pekuniärem Kapital unter den Bedingungen der marktradikalen Modernisierung der ehemaligen Sowjetunion vorkommen. Sind sie aber nicht. Hier wird wirklich geklaut.

Nun hat der russische Präsident Putin eine Generalinventur aller Museen des Landes angeordnet. Die Arbeiten sollen am 1. September beginnen, berichteten russische Zeitungen am Freitag. Eine Sonderkommission aus Beamten des Innen- und Kulturministeriums, der Staatsanwaltschaft und des Inlandsgeheimdienstes soll die Inventur organisieren. Das Verschwinden von 221 Exponaten aus dem Depot der Eremitage war Anfang August festgestellt worden. Eine Diebesbande hatte die Kunstschätze offenbar im Verlauf mehrerer Jahre aus dem Museum geschmuggelt. Drei Verdächtige wurden inzwischen verhaftet. Einige der verschwundenen Exponate konnten bei Antiquitätenhändlern sichergestellt werden. Eremitage-Direktor Michail Piontrowski lehnt einen Rücktritt wegen des Diebstahls bislang ab. Kurze Zeit nach der Aufnahme von Ermittlungen gegen die Eremitage-Diebe wurde ein zweiter spektakulärer Kunstraub in Russland bekannt. Mehrere hundert Zeichnungen des russischen Malers und Architekten Jakow Tschernichow waren aus dem Moskauer Staatsarchiv entwendet und durch Kopien ersetzt worden. Einige der Arbeiten tauchten im Londoner Auktionshaus Christie’s auf.

Und weil es sonst nichts zu berichten gibt, noch eine kleine Gedichtinterpretation aus der Berliner Anthologie zum Wochenende. Anbei der schönste Anleser einer Meldung an diesem Tag. „(Zum 14. August) (dpa-Gespräch) Grass: Über Brecht nicht die Nase rümpfen – Werk hat Bestand“. Keine Ahnung, warum der produzierende Redakteur dies komisch findet. Ist es diese Anmutung von bürokratischem Aktenvorgang der einleitenden Zweifachklammer, die in so eigenartigem Kontrast wie Einverständnis zu der Formulierung „Nase rümpfen“ steht? Ist es die Kombination der Worte „Werk“ und „Bestand“, die – zumindest für die Ohren des Verfechters einer popistischen Ästhetik der Oberfläche – fast schon automatisch die Intention desjenigen konterkariert, der sie benutzt? Ein „Werk“, das „Bestand“ haben wird, wird nie ein Werk sein, das Bestand hat? Und der Witz der, dass Grass dies nicht weiß? Oder ist es generell dieser großsprecherische Grass-Sound, der hier so schön zusammengefasst ist? Und davon mal abgesehen: Wer rümpft eigentlich über Brecht die Nase?