Die Wüste ist doch voll!

Geht weiter!“ Buddhas letzte Worte an seine Schüler – und Motto des ersten GTZ-Projekts „Schutz und nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen“ im mongolischen Nationalpark Gobi Gurvansaikhan. Ein Gobi-Trip

VON HELMUT HÖGE

Als wir frühmorgens in der Provinzhauptstadt des Aimags Südgobi Dalanzadgad landen, ist der erste Eindruck von der Wüste ein großer Mangel an Gewohntem: Alles ist selten. Pflanzen, Tiere, Menschen, Wasser. Nur Sand und Stein, Felsen und Geröll gibt es im Überfluss. Selbst die „Stadt“ ist leer – an Gebäuden und Verkehr. Wir fahren mit Jeeps quer durch die Gobi und den Nationalpark nach Norden – in die Provinz Bayankhongor. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Wüste ist doch voll – so sehr, dass man noch Monate davon zehren kann. Was das eigentlich Wüste betrifft: Es gibt Routen, die uns durch drei oder mehr völlig verschiedene Landschaften führen. Es gibt alles. Man kann dort leben! Wir verstehen nun sogar den Pariser Pessimisten Cioran, der meinte, in der Mongolei – wo Swifts „Yahoo“ noch nicht triumphiert habe und es mehr Pferde als Menschen gebe – müsse es eine Lust sein zu leben. Er irrt nur im Detail: In der Gobi gibt es mehr Kamele als Pferde.

Die extrem trockene Luft der Gobi führt vor allem dazu, dass die Gräser und Kräuter am Halm verdorren: „So bleibt die spärliche Vegetation erhalten, unterliegt keiner Zersetzung und ist entscheidend für den Weidegang der Haustiere“, schreibt der Biologe Michael Unruh. Die Vegetationsdichte regelt sich über das Wurzelsystem, das oberirdisch zu „dichtem und mosaikartigem“ Bewuchs führt: Die Gobi hat „mit 5 bis 25 Individuen pro Quadratmeter die geringste Tierarten- und Individuendichte aller Wüsten der Welt“. Wir sind auf Einladung der GTZ hier – der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, ihre Projektmitarbeiter begleiten uns: deutsche und mongolische Förster, Dolmetscher, Biologen und Geographen – hauptsächlich Frauen. Es wird hin und her erklärt und übersetzt.

Mir schwirrt der Kopf. Nur gut, dass ich keinen Fotoapparat mitgenommen habe. Die Mitglieder unserer Journalistenreisegruppe entdecken bei derlei Beschreibungen täglich mehr Knipsenswertes – und scheinen bald nur noch nach lohnenden Motiven Ausschau zu halten. Ich tappe dafür in eine andere „Touristenfalle“. Den Tipp dazu gibt mir ein Kollege: Er zeigt mir seine gesammelten Steine. Und prompt laufe ich nur noch gebückt herum – und suche Steine. Und die gibt es reichlich! An den Sehenswürdigkeiten werden die schönsten Steine von Nomadenkindern verkauft. In ihren Jugendclubs werden sie in Vitrinen ausgestellt und bestimmt. Dort notiere ich mir einige der englischen Steinnamen: Galemte, Silurian Crinoid, Amazonite, Cheolite, Quartz, Graphite, Granit. Am Ende der Reise führe ich kiloweise Gobisteine aus.

Unsere von den Jeeps aufgewirbelten Staubwolken schreckt Gazellengruppen hoch. Die Haustiere hingegen – Kamele, Rinder, Pferde und Ziegen – blickten höchstens auf, die Schafe nicht einmal das. Stellenweise kann man sich kaum vorstellen, wo diese Herden ihre Nahrung hernehmen. Viele einst von den Sowjets erbaute Brunnen sind zerstört oder verfallen. Einige Seen sind ausgetrocknet – und ganze Saxaulwälder abgefressen. Diese in großem Abstand voneinander wachsenden Sträucher, die immer wieder aus dem Sand, den der Wind um sie anhäufelt, herauswachsen, werden von den Viehzüchtern auch zum Heizen verwendet. Die Arbeit der GTZ besteht unter anderem darin, sie zu überreden, statt des Saxaulholzes Briketts aus Viehdung zu verwenden. Ihnen wurden von der GTZ spezielle Öfen zur Verfügung gestellt, die von Schmieden hier nachgebaut werden.

Während unsere mitteleuropäische Landwirtschaft inzwischen so weit industrialisiert ist, dass sie in einen schroffen Gegensatz zum Naturschutz geriet, scheint die nomadische Kultur noch immer eng mit ihrer Umwelt verbunden zu sein, deswegen mussten die Viehzüchterfamilien nicht lange agitiert werden: Sie stehen inzwischen selbst an vorderster Front des Naturschutzes im Nationalpark Gurvansaikhan, der 5,4 Millionen Hektar umfasst. Seine Verwaltung besteht nur aus 18 „Rangers“ und 7 „Managern“.

Nach der „demokratischen Revolution“ 1989 wurden alle Kolchosen im Land aufgelöst und jeder Mongole bekam 100 Stück Vieh – egal, ob er als Friseur, Fahrer oder Buchhalter gearbeitet hatte. Viele dieser „Ich-AGs“ gaben bald auf – besonders viele nach den harten Wintern 1999 und 2000, als Millionen Tiere verhungerten. Die übrig gebliebenen Viehzüchter wurden von der GTZ motiviert, sich zu Kollektiven – „Communities“ – zusammenzuschließen.

Es sind vor allem die Viehzüchterinnen, die einen nachhaltigen Eindruck auf uns machen. Sie gehen in Stöckelschuhen über das Wüstenpflaster zu den von der GTZ gestellten Info-Jurten, wo sie uns über ihre Lage berichten: „Nach 1990 war jede Familie auf sich selbst gestellt, und sie wanderte so gut wie gar nicht. Das konnte nur durch die Communities gelöst werden. Etwa 2.000 Viehzüchter haben sich bisher hier zusammengeschlossen. Nach sieben Jahren können wir nun sagen, dass es richtig war. Wir haben jetzt bessere Möglichkeiten, unsere Produkte zu vermarkten. Wir bekommen bessere Preise für Kaschmirwolle und Leder, die Schafwolle verarbeiten wir selbst. Wir wissen heute, wie die Natur zu verbessern ist.“ Bei den Nomaden sind es fast ausschließlich die Frauen gewesen, die Schulungen in ressourcenschonender Weidewirtschaft besuchten und die (geringen) finanziellen Hilfen in Anspruch nahmen, um zum Beispiel holländische Spinnräder oder Milchverarbeitungsgeräte anzuschaffen.

Über 80 Viehzüchter-Kooperativen gibt es inzwischen in der Südgobi – mit einer eigenen Zeitung, den Community News, die von der GTZ in Ulan-Bator gedruckt wird. Einige Communities haben sich inzwischen Gästejurten angeschafft, um auch noch vom Gobi-Tourismus zu profitieren. Leider müssen wir auf professionelle Jurten-Camps ausweichen, weil alle Viehzüchter-Quartiere belegt sind. Nebenbei bemerkt sind diese mobilen Rundzelte aus Filz weitaus komfortabler als die Hotels in den Kreisstädten.

Nach zwei Mongoleireisen kann ich nun bedenkenlos dem Konstanzer Drogisten Fritz Mühlenweg zustimmen, der in den Dreißigerjahren mehrmals mit Kamelen von China aus in die Gobi aufbrach: „Drei Mal habe ich die Mongolei bereist und jedes Mal war es schöner.“