Abriss beginnt trotz neuer Warnungen

STUTTGART 21 Der ehemalige Mitarchitekt Frei Otto sieht im neuen unterirdischen Bahnhof eine Gefahr für „Leib und Leben“. Dennoch hat unter massivem Protest der Abriss des alten Gebäudes begonnen

STUTTGART taz | Der lange erwartete „Tag X“ ist da: Am Mittwochnachmittag haben am Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs massive Abrissarbeiten am Mauerwerk begonnen. Die Gegner des umstrittenen Plans, den bisherigen Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu ersetzen, lösten darauf via SMS und Internet Alarm aus. Innerhalb kürzester Zeit füllte sich der Platz vorm Nordflügel mit mehreren hundert DemonstrantInnen.

„Aufhören“ und „Lügenpack“ riefen sie unter dem ohrenbetäubenden Lärm von Trillerpfeifen und Vuvuzelas. „Das Polizeiaufgebot ist jedoch so massiv, dass wir am Nordflügel nichts machen können“, sagte Fritz Mielert, einer der Sprecher der Initiative „Parkschützer“. Einige Demonstranten haben deshalb ihren Protest auf die Straße verlagert und den Verkehr blockiert. Für den Abend riefen die Gegner zu einer Großdemonstration auf.

Unterstützung bekommen sie unterdessen vom einstigen Mitarchitekten des neuen Tiefbahnhofs, Frei Otto. Es gehe um „Leib und Leben“, warnte er im Stern. Das Mammutprojekt berge große Gefahren, deshalb müsse man „die Notbremse ziehen“. Zusammen mit Christoph Ingenhoven hatte Frei Otto 1997 den Architekturwettbewerb für Stuttgart 21 gewonnen. Anfang 2009 schied er jedoch aus dem Projekt aus. „Mit dem Wissen von heute kann ich dieses Projekt nicht mehr verantworten“, sagt er.

Das Problem, vor dem Otto warnt, ist Stuttgarts Untergrund: Dieser ist voller Wasser und Quellen sowie Gipsschichten mit hohem Anhydridanteil. Dabei handelt es sich um ein Mineral, das in Verbindung mit Feuchtigkeit sehr stark aufquillt.

Überschwemmung droht

Laut Otto könnte der Bahnhof eventuell überschwemmt werden oder „wie ein U-Boot aus dem Meer“ aufsteigen. Er hatte bereits früher Warnungen an offizielle Stellen gerichtet, doch die Kritik wurde abgeschmettert. Auch sein einstiger Mitstreiter Ingenhoven hatte am Montag erklärt, Otto sei „weder qualifiziert noch geeignet“, die Risiken zu beurteilen.

Indes bestätigt ein Gutachten die Bedenken Ottos. Eine Studie des Ingenieurbüros Smoltczyk & Partner aus dem Jahr 2003, das bisher nur wenigen bekannt gewesen sei, belege, dass Bauarbeiten in dem Grund enorm schwierig würden, berichtet der Stern. Der Tübinger Geologe Jakob Sierich, der das Gutachten für das Magazin analysiert hat, kommt zu dem Schluss: „Bei Stuttgart 21 geht es nicht um mögliche Risse in Häusern, es geht um mögliche Krater, in denen Häuser verschwinden können. Es geht um Menschenleben.“ NADINE MICHEL