Prozess in Türkei

Anwalt Alparslan Arslan hatte im Mai auf Richter geschossen. Handelte er aus islamistischen Motiven?

ISTANBUL taz ■ „Wir sind die Soldaten Allahs“, soll Alparslan Arslan gerufen haben, als er vor drei Monaten in das Beratungszimmer im Obersten Verwaltungsgericht der Türkei stürmte und um sich schoss. Ein Richter wurde dabei getötet, vier weitere zum Teil schwer verletzt. Gestern begann in Ankara der Prozess gegen ihn und acht weitere Angeklagte, die ihn bei dem Anschlag unterstützt haben sollen.

Der Mordanschlag auf die obersten Verwaltungsrichter am 17. Mai löste damals fast eine Staatskrise aus, weil die nominell islamistische Regierung des Landes und die überwiegend laizistische Justiz und das Militär wechselseitig schwere Anschuldigungen gegeneinander erhoben. Der Attentäter, davon ging gestern auch die Staatsanwaltschaft in ihren Anklageschriften aus, unternahm seinen Anschlag, weil das Gericht kurz zuvor in einem Prozess gegen eine Lehrerin das in der Türkei geltende Kopftuchverbot an Schulen bekräftigt hatte.

Da auch die Regierung seit Langem für eine Lockerung des Kopftuchverbotes in Schulen und Universitäten eintritt, wurde sie vom laizistischen Establishment als geistiger Anstifter des Attentäters angegriffen. Die Beerdigung des getöteten Richters wurde zu einer riesigen Demonstration für die laizistischen Prinzipien der Republik. Demonstrativ erschien der gesamte Generalstab und alle obersten Richter, und genauso demonstrativ blieb Ministerpräsident Erdogan der Beisetzung fern. Der stellvertretend anwesende Außenminister Gül und Innenminister Aksu wurden beschimpft.

Erdogan revanchierte sich auf die Angriffe, indem er das Attentat als ein „Komplott“ gegen die Regierung bezeichnete. Tatsächlich zeigte sich im Zuge der Ermittlungen ein verwirrendes Bild, weil der Täter Alparslan Arslan, ein Anwalt aus Istanbul, sich nicht nur in religiösen Kreisen bewegt hatte, sondern auch Kontakte zu Exmilitärs und Nationalisten pflegte.

Angeklagt sind nun neun Männer, gegen sieben von ihnen fordert die Staatsanwaltschaft lebenslange Haftstrafen. Die sieben sollen direkt an den Tatvorbereitungen beteiligt gewesen sein, Waffen und Geld beschafft und während des Attentats vor dem Gericht mit einem Fluchtauto gewartet haben.

Alparslan Arslan sorgte mitten in der Verhandlung für Tumulte, als er verlangte, man solle ihn zum Freitagsgebet gehen lassen. Nachdem das Gericht eine Unterbrechung der Verhandlung abgelehnt hatte, versuchte er unerlaubt den Gerichtssaal zu verlassen und musste vom Personal festgehalten werden. Vor dem Gebäude versorgte unterdessen sein Vater Idris Arslan die Presse mit Statements, die vermuten lassen, dass die gesamte Familie zu einem islamisch-fundamentalistischen Umfeld gehört. „Unter dem Deckmantel des Laizismus werden die Werte der Türkei ausgehöhlt“, sagte er.

JÜRGEN GOTTSCHLICH