„Ganz normale Cricketfans“

Junge Muslime pakistanischer Abstammung sollen Attentate mit Flüssigsprengstoff auf 12 Flugzeuge vorbereitet haben

VON RALF SOTSCHECK

Die Bank von England hat die Namen von 19 der 24 Terrorverdächtigen veröffentlicht, die in der Nacht zu Donnerstag bei Razzien in London, Birmingham und High Wycombe verhaftet worden sind. Ihre Konten wurden auf Anweisung des britischen Schatzkanzlers gesperrt. Sie sind zwischen 17 und 35 Jahren alt, bei den meisten handelt es sich um britische Muslime pakistanischer Abstammung, aber mindestens einer ist ein weißer Brite, der voriges Jahr zum Islam übergetreten ist. Bei den Razzien soll eine Tonbandaufnahme gefunden worden sein, auf der einer der mutmaßlichen Attentäter von einem Märtyrertod spricht. Die Nachbarn in London und High Wycombe erklärten gegenüber den Medien, dass es sich – wie bei den Londoner Attentätern im vorigen Jahr – um scheinbar normale junge Männer gehandelt habe, die sich für Fußball und Cricket interessierten.

Die Festgenommenen sollen nach Angaben von US-Sicherheitskräften geplant haben, bis zu zwölf Flugzeuge über fünf US-amerikanischen Städten in die Luft zu sprengen: New York, Washington, Los Angeles, San Francisco und Boston. Flüssiger Sprengstoff sollte in Getränkeflaschen an Bord geschmuggelt werden. Für jedes Flugzeug von US-amerikanischen Fluglinien, das als Anschlagsziel ausgewählt war, seien Teams von zwei Attentätern vorgesehen gewesen. Sie sollten jeweils eine Komponente für die Bombe im Handgepäck mitnehmen, sie an Bord zusammensetzen und mit Hilfe eines MP3-Players, einer Kamera oder eines Handys zünden. Da die beiden Komponenten einzeln genommen harmlos sind, wären sie bei einer Kontrolle nicht aufgefallen. Hätten sie Erfolg gehabt, wären wahrscheinlich mehr Menschen ums Leben gekommen als bei den US-Attentaten vor fünf Jahren, als 2.700 Menschen starben.

Die US-Sicherheitskräfte beschuldigten al-Qaida, hinter den geplanten Anschlägen zu stecken. Britische Sicherheitskräfte waren vorsichtiger und erklärten, dass man erst am Anfang der Ermittlungen stehe und die Verhöre der 24 Männer abwarten müsse. Die Überwachung begann bereits vor knapp einem Jahr. Ein Zugriff war ursprünglich noch nicht geplant gewesen. Vor zwei Wochen wurden jedoch zwei Briten und fünf Pakistanis an der afghanischen Grenze in Pakistan verhaftet. Daraufhin sei bei den Terrorverdächtigen in Großbritannien eine Nachricht mit der Anweisung eingegangen, sofort zuzuschlagen. Diese Nachricht ist von den Sicherheitskräften abgefangen und am Dienstag oder Mittwoch entschlüsselt worden.

Deshalb habe die Polizei nicht abgewartet, bis man die Terrorzellen vollständig ausheben konnte. Ein Sprecher sagte, die Anschläge sollten „innerhalb der nächsten zwei Tage“ ausgeführt werden. Nach weiteren Beteiligten werde gefahndet. Die US-Behörden glauben, dass das Netzwerk rund 50 Leute umfasst. Sie befürchten, dass die Attentäter, die noch auf freiem Fuß sind, in kürzester Zeit zuschlagen könnten, weil sie damit rechnen müssen, dass die Verhafteten bei Verhören auspacken.

Premierminister Tony Blair war über die Überwachung seit Monaten informiert und hat mit US-Präsident George Bush noch am Mittwoch darüber gesprochen. Von den bevorstehenden Verhaftungen habe er allerdings nichts gewusst, sonst wäre er am Montag nicht nach Barbados in den Urlaub gefahren, sagte sein Sprecher.

Viele britische Muslime befürchten nun, dass die muslimische Gemeinde die Sache wie nach den Attentaten im vorigen Jahr ausbaden und mit Übergriffen rechnen muss. Die Reaktionen sind jedoch durchaus unterschiedlich. Iqbal Sacranie von Muslimischen Rat sagte: „Wir begrüßen die Aktion der Polizei, die die richtigen Maßnahmen ergriffen hat, um eine Tragödie zu verhindern. Es ist aber jetzt wichtig, sich die Fakten ins Gedächtnis zu rufen, damit nicht eine ganze Glaubensgemeinschaft stigmatisiert wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass Teile der Medien und einige Politiker die Gelegenheit nutzen und Hass gegen uns schüren.“ Scheich Ibrahim Mogra, ein Imam aus Leicester, sagte dagegen: „Wir predigen ständig, dass sich die jungen Männer nicht von Terroristen in die Irre führen lassen dürfen, aber wenn die Regierung nicht eingesteht, dass ihre Aktionen zu der Situation beigetragen haben, können wir nicht viel ausrichten.“

Und natürlich blühen auch Verschwörungstheorien. Fahad Ansari von der Islamischen Menschenrechtskommission sagte dem Guardian: „In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche Razzien wie diese erlebt, die in der Presse groß aufgemacht wurden, um die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen. In vielen Fällen lagen die Sicherheitskräfte falsch. So etwas löst eine Massenhysterie aus.“ Ansari glaubt, die Verhaftungen sollen vom Krieg im Libanon ablenken.