Der Blick über den Biertischrand

Das „Viertelfest“ 2006 hat weniger Geld, aber ein „neuartiges Sponsoring“. Die Organisatorinnen Frauke Wilhelm und Ulrike Osten über die notwendigen Zutaten zu einem „innovativen Volksfest“

Interview: Henning Bleyl

Das Viertelfest hat eine bewegte Geschichte. Es gab Zeiten, da genehmigte der Innensenator ein Viertelfest, das weder AnwohnerInnen noch Gewerbetreibende wollten – die Veranstaltung galt als gastronomisch dominiert, als krawallträchtige Biersause und familienunfreundliches Ausflugsziel für junge Delmenhorster Autobesitzer. Auf der anderen Seite kämpft Ortsamtsleiter Robert Bücking seit Jahren um „sein“ Viertelfest, dem er 2005 den Status eines „Kulturhauptstadt“-Projektes verschaffte – da hatte es einen Gesamtetat von 200.000 Euro und, erstmals in seiner über 20-jährigen Geschichte, einen künstlerischen Leiter. Dieses Jahr steht nur ein Drittel des benötigten Etats an öffentlichen Zuschüssen zur Verfügung.

taz: Vor vier Jahren wurde das Straßenzirkusfestival „La Strada“ ins Boot geholt, um das Viertelfest kulturell aufzumöbeln. Warum finden die Veranstaltungen wieder an verschiedenen Wochenenden statt?

Ulrike Osten: Das war der Wunsch von „La Strada“. Für uns ist das schade, aber auch eine Chance: An der Kunsthalle, wo früher nur „La Strada“ stattfand, präsentieren wir jetzt als neuen Programmpunkt Rock-Newcomer und ein ambitioniertes Kinderprogramm.

Frauke Wilhelm: Früher haben die Leute gesagt: Ist wieder Viertelfest? Dann fahr’ ich in den Urlaub. Der Kulturhauptstadtschub und vielleicht auch „La Strada“ haben tatsächlich als Katalysator funktioniert, um den großen Tanker Viertelfest in eine andere Richtung zu schieben. Wir merken das auch an den Band-Anfragen: Das Interesse, auf dem Viertelfest aufzutreten, ist spürbar gestiegen. Die Idee ist, dass sich internationale Musiker mit dem Underground aus der Region treffen.

2005 wurde dem Viertelfest mit Geld aus dem Kulturhauptstadt-Fonds eine ordentliche Spritze verpasst. Wie geht es ohne diesen Input weiter?

Wilhelm: Inhaltlich führen wir das weiter, aber wir wollen auf allen Ebenen etwas Neues machen: technisch, künstlerisch und in Bezug auf Sponsoring. Die visuelle Bespielung der Fassaden ist eine neue kulturelle Dimension, mit der wir uns deutlich von anderen Stadtfesten abheben.

Osten: Normalerweise gucken die Leute nicht weiter als bis zum nächsten Biertisch. Erst durch das „Urban Screening“ wird aus der Straße ein richtiger Raum.

Aber es geht auch ums Geld.

Osten: Klar – man kann ja nicht sagen, die Finanzierung des Ganzen ist nicht unsere Baustelle. Also haben wir nach Unternehmen gesucht, die sich jeweils mit einem der drei Screenings identifizieren wollen.

Wilhelm: Das ist wirklich ein neues Modell von Sponsoring: Die Firmen wählen ein Keyword, das Thema des Videomaterials, frei umgesetzt von Künstlern, das in zehnminütigen Loops an die Fassaden geworfen wird.

Also: Bei „Möbel Flamme“ brennen die Wände?

Osten: Nein. Das Thema Hitze wollten wir am Goetheplatz-Theater ansiedeln, mit glühenden Säulen und einem auf dem Sims stehenden Stahlarbeiter, der Lava von der Kante schaufelt – aber das entsprechende Unternehmen will sich die Sache erst noch mal überlegen. Dafür können wir am Ulrichplatz das Thema „Nähe/ Kontakt“ umsetzen, das ist nämlich das Keyword, das die „Nordcom“ gewählt hat. Die Videokünstler haben das mit Mitteln des Tanzes umgesetzt.

In der Sponsoring-Broschüre steht, „alle visuellen Umsetzungen präsentieren ihren Förderer und lassen Raum für respektvolle Verweise“.

Wilhelm: Das heißt nicht, das wir zum Beispiel für Könnecke, falls die mitmachen würden, ständig eine Wurst durch’s Bild schieben. Natürlich gibt es am Ende der Loops den Verweis „powered by …“ – aber dadurch geht niemandem das Raumerlebnis verloren.

Über dem „Extra“ am Ziegenmarkt wird ja schon seit längerem mit Projektionen experimentiert, aber mit Mitteln des Beirats. Ist es gut, dem Ganzen jetzt eine werbliche Ausrichtung zu geben?

Wilhelm: Es geht ja nicht um Werbefilmchen sondern um assoziative Bilderwelten, zu denen sich die Künstler von einem Keyword inspirieren lassen. Es ist in der Tat ein Experiment, bei dem man die verschiedenen Interessen aushandeln muss. Wir stimmen uns ständig mit den Leuten von „proNova“ ab, die die künstlerische Arbeit sowohl auf dem Ziegenmarkt als auch auf dem Viertelfest machen.

Apropos Anspruch: Vergangenes Jahr haben sich Wirte über zu viel Kultur beklagt, weil dadurch der Bierumsatz zurückgegangen sei.

Wilhelm: Es ist immer schwierig, alle unter ein Hut zu bekommen – dann heißt es schon mal: Stell deine Bühne nicht vor meinen Laden. Aber die Gastronomen können sich ja auch mit eigenen Ideen beteiligen.

Osten: Wir wollen ein innovatives Volksfest. Da soll es nicht nur laut und krachig sein, sondern auch Tänze und kleine poetische Momente geben. Zum Beispiel mit den „Klangkurieren“: Das sind singende Botschafter, die Passanten vergessene Einkaufszettel oder schöne Grüße übermitteln.

„Viertelfest“ 2006: 25. - 27. August auf 1,5 Kilometer Länge mit vier Bühnen zwischen Goetheplatz und Ziegenmarkt