Diebe der Engelsschranken

Gerade erst entdeckt, wurde die ungesicherte Lagerung in der Krypta den Kunstwerken zum Verhängnis: Aus der Hildesheimer Michaeliskirche sind Gipsstuck-Fragmente aus dem 12. Jahrhundert entwendet worden. Die Kirche hat Anzeige erstattet, doch die Erfolgsaussichten sind ungewiss

Sie wird als „Gottesburg“ bezeichnet und ist eine der wichtigsten erhaltenen vorromanischen Kirchen überhaupt: Aus der Hildesheimer Michaeliskirche haben Unbekannte in den vergangenen Tagen drei Gipsstuck-Fragmente des 12. Jahrhunderts entwendet, die erst kürzlich im Boden der Kirche entdeckt worden waren.

Renovierungsarbeiten, die noch bis 2007 dauern werden, hatten die Preziosen zutage gefördert. „Derzeit werden unter anderem Heizungskanäle gelegt, weswegen man den Fußboden aufgestemmt hat“, berichtet der Kirchenvorstands-Vorsitzende Jens Kotlenga.

Zwischen 1194 und 1197 entstanden die Stuck-Fragmente, die die Engelschorschranken zierten – jene Bauteile, die im Mittelalter Altarraum und Gemeindebereich trennten. Beim Einsturz eines der Türme im 17. Jahrhundert müssen die Gipsteile zu Boden gegangen und beim Wiederaufbau verscharrt worden sein. Kindskopfgroß sind die Artefakte, von denen etliche bereits im niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover lagerten.

„Die nicht so interessanten – sprich: nicht so wertvollen waren noch in der Krypta“, sagt Kotlenga. „Die meisten davon in Alukisten verpackt – bis auf die drei, die jetzt entwendet wurden.“ Am Montag hatten Mitarbeiter des Denkmalpflege-Amts sie abholen wollen; bei dieser Gelegenheit wurde der Diebstahl entdeckt.

Warum einige der Gips-Fragmente ungesichert in der Krypta lagen – frei zugänglich für jeden, der den Bauzaun überwand –, kann Landeskirchen-Baudirektorin Eva-Maria Eilhardt-Braune nicht sagen. Auf die Frage, warum die Teile dort tagelang der Abholung geharrt hätten, sagt sie nur: „Wir haben eben auch nicht immer Zeit.“ Der materielle Wert der Stücke sei im Übrigen gering. „Es handelt sich hier um einen idellen Wert, und ich glaube nicht, dass die Stücke auf dem Kunstmarkt veräußerbar sind.“ Man habe Anzeige erstattet – doch ob die Stücke wieder auftauchten, stehe in den Sternen.

Verloren gehen solch prominente Stücke allerdings selten: Spätestens nach fünf Jahren, lehrt die Erfahrung, tauchen etwa aus Museen entwendete Gemälde wieder auf, weil sich kein Käufer findet. Und wenn St. Michael, seit 1985 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, ihre Gipsstuck-Fragmente spätestens 2014 wiederhätte, wäre das ein feiner Triumph. Dann nämlich soll die Kirche die Rückseite der deutschen Zwei-Euro-Gedenkmünze zieren. Petra Schellen