Die Lücken zwischen den Bildern

KRIEG Die Thementage „Krieg erzählen“ im Haus der Kulturen der Welt fragen nach der Möglichkeit, kriegerische Auseinandersetzungen darzustellen: Welche Bilder und Texte sind zulässig, was muss verknappt werden?

100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs machen sich die Thementage „Krieg erzählen“ bewusst nicht die Großkatastrophen des 20. Jahrhunderts zur Referenzgröße, sondern stellen kriegerische Auseinandersetzungen der jüngeren Vergangenheit ins Zentrum einer Betrachtung, die der Frage nachgeht, wie heute über Kriege erzählt werden kann.

■ „Krieg erzählen“: Thementage mit Gesprächen, Lesungen und Filmen, 20.–22. 2., Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Programm: hkw.de/krieg_erzaehlen

VON ANTONIA HERRSCHER

Der Philosoph und Psychoanalytiker Peter Schneider sagte kürzlich, schon die tägliche Zeitungslektüre erzeuge eine einzige Sinnkrise. Der Mensch versuche augenblicklich zwischen all den Meldungen sinnvolle Bezüge herzustellen. Die Zusammenstellung von Text und Bild, Auswahl und Machart von Nachrichten suggerieren – gewollt oder nicht – Sinnzusammenhänge.

So nahm der Filmemacher Philip Scheffner am 15. November 2005 zwei zunächst zusammenhangslose Nachrichten einer Zeitungsseite zum Anlass für den politischen Naturfilm „Der Tag des Spatzen“, der als einer der Dokumentarfilme die Thementage „Krieg erzählen“ flankiert, die von Donnerstag bis Sonnabend im Haus der Kulturen der Welt stattfinden.

Im niederländischen Leeuwarden wird ein Spatz von einem Scharfschützen erschossen, weil er ein TV-Spektakel störte, in Kabul stirbt ein deutscher Soldat infolge eines Selbstmordattentats. Anhand der Berührungspunkte zweier Recherchen, „stellt der Film die wichtige Frage, ob Deutschland Krieg führt“, so taz-Kinoredakteurin Cristina Nord, die das Filmprogramm kuratiert. „Er ist essayistisch, nimmt sich Zeit und liefert keine gültigen Antworten.“

Wenn jedoch der Vogelflug auf einem Militärflughafen verhindert werden muss oder der Schutz von Vogelarten an einem Militärstützpunkt geregelt werden soll, „dann fügt sich das natürlich zu keiner These – dennoch wird klar, dass es in Deutschland viele Orte gibt, an denen sich die Bundeswehr auf den Afghanistaneinsatz vorbereitet“, so Cristina Nord. Zugleich ist das Motiv der Vögel ein militärisches Motiv.

Die von der Publizistin und Philosophin Carolin Emcke und dem Historiker Valentin Groebner kuratierten Thementage „Krieg erzählen“ wollen die möglichen Perspektiven des Erzählens von Krieg und Konflikt ausloten. In Gesprächsrunden und Lesungen werden Zweifel, Ängste, Zufälle und Tabus der künstlerischen und journalistischen Arbeit beleuchtet. Prozesse der Kriegsberichterstattung, die dem Nachrichtenkonsumenten normalerweise verborgen bleiben. Wie all das nicht durch Opfer von Gewalt und Folter Bezeugte, weil diese dafür keine Sprache mehr haben.

In der journalistischen Arbeit geht es darum, direkte Zusammenhänge aufzuzeigen, die simple Bedeutungen produzieren. Nachrichten. Doch wie vom Krieg erzählen? Wo liegen die Grenzen des Verstehens, von Zufall oder Irrtum? Die Grenzen des Erzählens, von Scham und Schuld?

Und ist Krieg in Bildern darstellbar? Bilder manifestieren historische Momente. Der Augenblick scheint authentisch, doch der Reporter stets involviert. Das Bild wird zur Ware, zum Bild an sich, das den Blick auf die Komplexität eines Konflikts verstellt. Von verschiedenen Deutungspositionen instrumentalisiert, wird es zur Propaganda und militärischen Waffe.

Der Augenblick scheint authentisch, doch der Reporter stets involviert

Die Perspektive der Dokumentation „Restrepo“ erzeugt einen sehr direkten Zugang zum Kriegsgeschehen Afghanistans (Donnerstag, 22 bis 24 Uhr). Die Journalisten Tim Hetherington und Sebastian Junge begleiteten gemeinsam eine US-amerikanische Einheit, die einen Außenposten im Korengal-Tal verteidigen musste. Die Bilder bleiben unkommentiert und der Blick geht nicht über den der Soldaten hinaus. Diese Perspektive ergibt sich zwangsläufig, wenn man „embedded“ ist. „Restrepo“ deutet nicht, ist mit seinen vermeintlich authentischen Bildern ganz drinnen und möglicherweise genau deshalb im toten Winkel des Geschehens.

Susan Sontag schrieb 2003 in ihrem Essay „Das Leiden anderer betrachten“: „Erzählungen können etwas verständlich machen. Fotografien dagegen suchen heim und lassen nicht mehr los.“ Das Bild transportiert die starke Botschaft und genau damit hinterlässt es einen Leerraum, einen Erklärungsbedarf.

Dem widmet sich etwa das Panel „Krieg erzählen? – Die Lücken zwischen den Bildern“ (Freitag, 14 bis 16 Uhr) in einem Gespräch mit dem Kriegsfotografen Sebastian Bolesch und dem Historiker Gerhard Paul über die Frage nach Motivwahl und der bildlichen Inszenierung moderner Kriege. Das anschließende 13-minütige Filmexperiment „Itsembatsemba: Rwanda One Genocide Later“ des französischen Fotografen Alexis Cordesse und des israelischen Filmemachers Eyal Sivan konfrontiert Schwarz-Weiß-Fotografien von Schauplätzen des Genozids in Rwanda mit Tonspuren von Hetzkampagnen, die das Radio dort begleitet von Reggae-Musik 1994 täglich sendete. Cordesse und Sivan, der selbst nicht in Rwanda war, erzeugen damit ein sehr distanziertes und zugleich unerträgliches Dokument.

Das unbegreiflich Reale des Krieges dringt stets verzerrt in die normale und scheinbar intakte Lebenswelt ein. Am Ort des Geschehens genauso wie in die weite Welt der Nachrichten.