Maisch auf dem Marathron

Nach Jan Fitschens Goldmedaille gibt es die zweite deutsche Langstrecken-Überraschung: Die 29-jährige Ulrike Maisch siegt im Marathon-Wettbewerb nach einer beeindruckenden Aufholjagd

AUS GÖTEBORGSUSANNE ROHLFING

Zwei Medaillen hat Ulrike Maisch bereits um den Hals hängen, da wird ihr ganz beiläufig eine dritte Trophäe zugesteckt. Das unscheinbare, etwas knitterige Kärtchen zaubert ein Lächeln auf ihr Gesicht. „New-York-Marathon, Wahnsinn! Da hätte ich schon Bock drauf“, sagt sie. So schnell geht das. Am Freitagmorgen war Ulrike Maisch noch eine weitgehend unbekannte Läuferin, als größte Erfolge zierten ein achter Platz bei der Europameisterschaft vor vier Jahren und ein Sieg beim Bonn-Marathon 2002 ihren Lebenslauf. Jetzt ist die Rostockerin die erste deutsche Marathon-Europameisterin, zudem gemeinsam mit Claudia Dreher (Magdeburg) und Susanne Hahn (Saarbrücken) Dritte der Teamwertung. Und sie hat das Interesse der Veranstalter des New-York-Marathons geweckt. „Ich wusste auch nicht, dass das so schnell geht“, sagt die 29-Jährige. Verwundert blickt sie auf das Visitenkärtchen in ihrer Hand. So imponierend war ihre gnadenlose Aufholjagd also.

Sie habe „keine Ahnung“, was diese Einladung möglicherweise wert ist. Antrittsprämien bei den großen Läufen dieser Welt haben die Sportsoldatin bislang nicht beschäftigt. Sie war zur Leichtathletik-Europameisterschaft nach Göteborg gekommen, um ihren achten Platz von München zu bestätigen. Und um ihr verletzungsbedingtes Ausscheiden bei Olympia 2004 vergessen zu machen. Als nach der Hälfte der 42,195 Kilometer langen Strecke die Konkurrenz das Tempo verschärfte, fiel Maisch jedoch zurück. „Das war zu schnell für mich“, erzählt sie später. Aber die Tage von Göteborg sind die Tage der deutschen Läufer. Wie schon Jan Fitschen bei seinem Sieg über 10.000 Meter war auch Ulrike Maisch am Ende zu schnell für ihre Gegnerinnen. Gut zehn Kilometer vor Schluss begann sie ihre Aufholjagd. „Elfte wollte ich nicht werden“, erklärt Maisch. Also gab sie Gas. „Und plötzlich hatte ich eine Medaille, und dann war ich Erste. Wahnsinn!“ In persönlicher Bestzeit von 2:30:01 Stunden gewann sie vor Olivera Jewtic aus Serbien und Montenegro (2:30:27) und der Russin Irina Permitina (2:30:53).

Diskuswerferin Franka Dietzsch, die in Göteborg so gern gewonnen hätte, und Kugelstoßerin Nadine Kleinert, die ewige Zweite, reichen Maisch in einer Gemeinschaftsaktion eine deutsche Fahne. Die Rostockerin nimmt sie und läuft einfach weiter. So, als hätten die zurückliegenden Strapazen ihren Beinen überhaupt nichts anhaben können. Maisch ist anders als andere Läuferinnen. Sie ist nicht ganz so ausgemergelt wie viele, sie läuft nicht so hohe Umfänge wie die meisten – und sie war vor acht Jahren schon einmal kurz davor, den Leistungssport aufzugeben.

Damals kehrte sie von einem zweijährigen Stipendienaufenthalt in den USA zurück, ein bisschen pummelig und außer Form. Ihr sportliches Talent zu verpulvern, sei zu schade, fand jedoch ihr Umfeld. Also lief sich Maisch die überflüssigen Pfunde wieder ab. Und sie wurde auf Anhieb deutsche Junioren-Meisterin im Halbmarathon.

Sie hat ihre sportliche Laufbahn einst als Mehrkämpferin begonnen („Aber mit 1,69 Meter war ich zu klein.“) und braucht noch heute die Abwechslung. „Für eine Marathonläuferin laufe ich sehr wenig“, sagt Maisch. Wandern, Radfahren, Aqua-Jogging – das ist ihre Welt. In Göteborg kam ihr das zugute. Weil sie etwas kräftiger ist als ihre Konkurrentinnen, setzte ihr der hügelige Parcours weniger zu. Überrascht hat Ulrike Maisch damit nicht nur sich selbst und die Veranstalter des New-York-Marathons. Auch der sonst immer so ruhig und gelassen wirkende Jürgen Mallow zeigte sich bewegt. Mit vor Stolz zitternder Stimme sagte der Cheftrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes: „Wir sind richtige Leichtathleten, wir können nicht nur werfen, sondern auch laufen.“ Vor Göteborg hatte das tatsächlich kaum jemand gewusst.