Das Opfer als Verführerin dargestellt

betr.: „Nestbeschmutzer“ (ZDF-Film „Liebeskind“), taz vom 1. 8. 06

Mir fehlt in der Darstellung jegliche kritische Reflexion der benannten „riskanten Beziehung“ zwischen Vater und Tochter. Es sollte darum gehen, dieses „Inzestdrama“ auf einen klaren Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt hin zu untersuchen. Stattdessen tragen Sie dazu bei, die alten Mythen über Ursachen von sexualisierter Gewalt zu festigen, indem Sie beispielsweise das Opfer durch folgende Aussage als potenzielle Verführerin darstellen: „Was riecht das Mädchen – den lange vermissten Geruch der Geborgenheit oder den Duft ihres zukünftigen Liebhabers?“

Diese Art der Darstellung missachtet jegliche Gewaltdynamik zwischen Täter und Opfer und trägt außerdem zur Verzerrung der Schuldfrage bei. Indem Sie der halbwüchsigen Tochter mit „psychologischer Autonomie“ die Verantwortung zusprechen und den Vater in diesem Fall als sympathischen „Schluffi“ entlassen.

Es muss bei der öffentlichen Diskussion um sexualisierte Gewalt um die klare Verurteilung dieses Verbrechens gehen. Es liegt in Ihrer Verantwortung als Journalist, die Legitimation dieser Form von Gewalt zu be- und auch zu verurteilen. Anstatt in den unpassenden und respektlosen Diskurs über „verbotene Liebe“ zu kommen, wäre es vielmehr Zeit, seriös und aufgeklärt über das Thema zu berichten.

LINDA KAGERBAUER, Darmstadt