VON DER ESKALATION AUF SRI LANKA PROFITIEREN BEIDE KONFLIKTPARTEIEN
: Die Logik des Blutvergießens

Die bewaffneten Zwischenfälle in Sri Lanka haben das Niveau eines Konflikts niedriger Intensität längst überschritten. An die tausend Tote und mindestens 60.000 Menschen auf der Flucht sind Opfer eines Krieges, den keine Seite erklärt hat und den aufgrund der hohen politischen Kosten auch keine erklären will. Doch das Blutvergießen hat durchaus seine Logik.

Seit der Wahl von Präsident Mahinda Rajapakse im vergangenen November haben die singhalesisch-nationalistischen Kräfte Aufwind. Wenn sich die tamilischen „Tiger“ von der LTTE nicht mit einer sehr bescheidenen Dezentralisierung im Rahmen eines Zentralstaats zufriedengeben wollen, dann soll eine militärische Lösung das Tamilenproblem beenden, so das in regierungsnahen Medien immer deutlicher ventilierte Kalkül. Die LTTE, so meint man, sei durch den Tsunami und Abspaltungen geschwächt. Die Gunst der Stunde müsse genutzt werden. Auf der anderen Seite bestärkt die Hochrüstung der Armee mit neuen Waffen aus Pakistan und China die LTTE derweil in der Befürchtung, dass eine Großoffensive bevorsteht. Zusätzlich bedroht sehen sich die Tiger durch die Rückendeckung der USA für Colombo – und durch die Isolationspolitik der EU. Diese hat die LTTE im Mai nach einem von der Armee fingierten Zwischenfall auf See auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt, ohne ihr gleichzeitig einen Ausweg anzubieten, wie sie diese Stigmatisierung wieder abschütteln kann. Die Regierung, die den Waffenstillstand genauso verletzt hatte, wurde nicht gerügt.

Die Tiger scheinen es nun darauf anzulegen, aller Welt zu zeigen, dass die Armee Staatsterrorismus übt. Die Ermordung von 16 tamilischen und einem muslimischen NGO-Mitarbeiter in Muttur dürfte so ein Beispiel sein. Die Luftangriffe auf zivile Dörfer ein anderes. Gleichzeitig beweist die LTTE durch ihre Militäraktionen, dass sie sowohl auf der von der Armee besetzten Halbinsel Jaffna als auch an der Ostküste, wo ihr abtrünnige Paramilitärs zusetzen, voll handlungsfähig ist. Es liegt an Europa, beiden Seiten Druck zu machen, damit wieder verhandelt wird. RALF LEONHARD