Terrorverdächtige sind weiter auf der Flucht

Rund zwei Dutzend Ermittlungen in Großbritannien nach vereitelten Anschlägen auf Flugzeuge. Regierung warnt vor weiterer Bedrohung. 40 muslimische Organisationen und sechs Abgeordnete fordern Änderung der Außenpolitik

DUBLIN taz ■ Mehrere Verdächtige in Zusammenhang mit geplanten Selbstmordattentaten in Großbritannien seien noch auf der Flucht, gab die britische Polizei am Wochenende bekannt. Derzeit laufen rund zwei Dutzend Terrorermittlungen. Die Polizei hatte in der Nacht zum Donnerstag in London, Birmingham und High Wycombe 24 muslimische Briten verhaftet, von denen einer am Freitag freigelassen wurde. Sie sollen geplant haben, etwa zehn Flugzeuge auf dem Weg in die USA simultan zu sprengen.

Die Razzien wurden durch Informationen aus Pakistan ausgelöst. Die pakistanische Polizei hatte Ende Juli zwei Briten in Karatschi und fünf Pakistanis in einem punjabischen Dorf festgenommen. Einer von ihnen soll vor kurzem in Deutschland gewesen sein. Bei einem der beiden verhafteten Briten handelt es sich um Rashid Rauf, einen Geschäftsmann aus Birmingham, den der britische Geheimdienst MI5 seit den Londoner Anschlägen vom 7. Juli 2005 überwacht.

Den Hinweis auf Rauf gab ein muslimischer Agent, den der MI5 in eine Terrorzelle eingeschleust haben soll. Rauf, der nach Angaben der pakistanischen Polizei in Al-Qaida-Lagern ausgebildet wurde und der al-Qaida nahe stehenden Organisation Lashkar-e-Jhangvi angehöre, ist kürzlich nach Pakistan gereist. Seine Anrufe und Mails nach England sollen Hinweise auf die geplanten Anschläge enthalten haben. Wenige Tage nach seiner Festnahme sei ein Telefonat nach Großbritannien abgefangen worden. Ein Anrufer habe Raufs Komplizen in England aufgefordert, ihren Plan schnell umzusetzen. Das löste die Razzien in der Nacht zu Donnerstag in Großbritannien aus.

Unter den Männern, die in Birmingham verhaftet wurden, ist Raufs Bruder Tayib, der bereits nach den Anschlägen im vergangenen Jahr vorübergehend festgenommen worden war. Die Sicherheitskräfte bestätigten, dass zwischen den Attentaten, bei denen vor gut einem Jahr 56 Menschen starben, und den Razzien vorige Woche ein Zusammenhang bestehe. Die Polizeioperation habe wenige Tage nach den Anschlägen begonnen.

Die Regierung warnte, niemand dürfe sich der Illusion hingeben, dass die Bedrohung mit den Festnahmen ausgeräumt sei. Sie ist beunruhigt, dass junge Muslime in britischen Universitäten radikalisiert werden. Die Polizei fand im Büro der Islamischen Gesellschaft an der London Metropolitan University Broschüren, in denen zum Dschihad aufgerufen wird und Tipps zum Umgang mit Sicherheitskräften gegeben werden.

40 muslimische Organisationen sowie drei muslimische Labour-Abgeordnete und drei Lords haben am Wochenende einen offenen Brief unterzeichnet, in dem es heißt, dass das „Debakel im Irak den Extremisten, die uns alle bedrohen, die nötige Munition“ liefere. Die Unterzeichner fordern die Regierung auf, ihre Außenpolitik zu ändern, um der Welt zu zeigen, dass sie das Leben von Zivilisten wertschätzt, egal wo sie leben. Außenministerin Margaret Beckett sagte, eine Verbindung zwischen der Regierungspolitik und der Terrorgefahr herzustellen, wäre „der größtmögliche Irrtum“. Das entspringe Hirnen mit einem verschobenen Blick auf die Welt und das Leben. RALF SOTSCHECK