„60 Jahre sind genug“

Bloß keine Rheinländerin! Gerburg Jahnke, Kabarettistin aus Oberhausen, über ganz neue Stadtmauern, kettenrauchende Schlote und den Melting Pot im Ruhrgebiet

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

taz: Frau Jahnke, 60 Jahre Nordrhein-Westfalen, 50 Jahre Frau Jahnke?

Gerburg Jahnke: 51.

Den zehnten Geburtstag des Bundeslandes haben sie also schon mitbekommen: Wie war das damals?

Ich hab‘ ein Problem mit Nordrhein-Westfalen. Ich bin eine Lokalpatriotin. Für mich ist NRW eine Vermischung von Stämmen, die wenig miteinander zu tun haben. Ich wäre jetzt nicht unbedingt für eine Mauer – obwohl, fänd‘ ich auch nicht schlecht. Die Gebiete müssen wieder getrennt werden. Die Westfalen, die Rheinländer, die Niederrheiner und die Ruhrgebietler sind so unterschiedlich.

Oberhausen gehört politisch zum Rheinland.

Wenn ich weit weg verreise, denken die Leute, ich wäre Rheinländer. Rheinländerin. Das ist ja noch schlimmer als Rheinländer. Das ist Gemütlichkeit pur und Geselligkeit.

Gesellig sind Sie doch.

Nein, ich bin eher Melancholikerin. Für mich passt die Parole: 60 Jahre sind genug, Freiheit für‘s Ruhrgebiet.

Sind alle Ruhries der gleiche Menschenschlag?

Hamm ist grenzwertig. Obwohl „Obel“ von Till und Obel kommt aus Hamm. Und wir hamm auch in Hamm gespielt. Aber Hamm ist grenzwertig. Wie Dortmund. Dortmund ist das Tor zum, zum...?

Münsterland? Sauerland?

Danke. Der Ruhrgebietler fährt nicht freiwillig nach Dortmund. Die haben da nix, was wir nicht auch hätten.

Sie wollen eine Mauer um Oberhausen ziehen.

Nein, ich würde Duisburg, Essen, Bottrop und so mit einbeziehen. Nur wie soll die Bevölkerung heißen? Berliner, Hamburger, das geht. Ruhrie? Das hört sich an wie eine Gartenzwergsammlung.

Ich will auf die frühkindliche Entwicklung der Frau Jahnke zu sprechen kommen.

Vater war Bergmann. Großvater war Bergmann. Wenn ich kein Mädchen geworden wäre, wär ich auch erstmal unter Tage gekommen.

Und dann Kabarett.

Vielleicht wär‘ ich auch früh pensioniert und würde mir von der RAG die körperlichen Bergschäden bezahlen lassen.

Wie war das Leben damals?

Es war tatsächlich so, dass die Wäsche nicht sauber wurde auf der Leine. Die ganze Essener Straße war Stahlwerk. Da war nachts der Himmel wirklich rot.

Eine schöne Kindheit?

Ja. Besonders die Fleischwurstscheibe von Frau Fünderich von der Metzgerei Fünderich in Osterfeld. Die Tochter Susanne ist später unsere Technikerin geworden. Heut‘ ist sie Chefin vom Ebertbad in Oberhausen.

Und ihre Jugend, wie war die?

Klasse. Überall gab es Keller, in denen Bands geprobt haben. Und wir Mädels waren dabei, so als Dekoration. Und Drogen. Holland ist nicht weit. Du fährst nachts los und wirst bei Sonnenaufgang am Strand wach. Irgend jemanden mit Auto gab es immer.

Nach dem Kunststudium hatten Sie zunächst das Lehramt für sich entdeckt?

Im Gegenteil. Während des Studiums hab‘ ich befristete Verträge als Kunstlehrerin gehabt. Ich hatte einen Schüler, der hat nur Panzer gemalt, verschiedene Modelle, sehr präzise. Ich hab‘ mich drauf eingelassen: „Alle malen Dschungel. Du malst Panzer! Im Dschungel.“ Der hat von mir ‘ne ziemlich gute Note gekriegt. Ich wollte aber nicht in einer Institution arbeiten, die solche Kinder nicht auffängt.

Kabarett statt Kunsterziehung?

Zunächst kam für mich das Zentrum Altenberg. Das ist in die Richtung (deutet in die Ferne). Die ehemalige Zinkfabrik wurde besetzt. Die Stadt hat das akzeptiert und so wurde eine Brutstätte alternativer Kultur daraus. Da kommt für mich auch der Feminismus ins Spiel, auch wenn es schon damals den Unterschied gab zwischen den Dogmatikerinnen und uns Hedonistinnen. Wir haben gesagt: Feminismus ist gut, muss aber auch Spaß machen.

Kann man Feminismus im Ruhrgebiet leben?

Die Frauen haben hier schon immer das Sagen gehabt. Es geht um die Länge der Leine, an der man die Männer hält. Die war hier immer ziemlich lang, aber da die Frau wusste, wo der Mann trinkt, sind die Kinder dahin geschickt worden. „Bring den Papa nach Hause, Essen ist fertig.“

Wie sind Sie auf die Bühne gekommen?

Wir haben zunächst Straßentheater gemacht, sind mit fünf Frauen mit ‘nem VW-Bus nach Frankreich gefahren. Alles was wir brauchten, mussten wir verdienen. Wir haben auf Bouleplätzen „Romeo und Julia“ gespielt.

Wir sitzen gerade auf dem Gasometer, nicht bei Sturmesbrausen. Aber wenn wir aufstehen würden, würden wir nichts anderes sehen als...

Oberhausen. Das war auch so ‘ne Nummer. Wir haben den Text gemacht, unsere Jungs haben dazu auf der Gitarre ‘rumgeklimpert, dann ist da ‘ne Lagerfeuernummer draus geworden. Die wollten wir nur als Zugabe geben, wenn wir in Oberhausen spielen. Dass das dann so einschlug, egal ob in Hamburg oder Berlin, dass die Leute nach der Vorstellung alle Oberhausen brüllten, hätten wir nicht gedacht.

Oberhausen wäre auch eine schöne Hymne für NRW.

Es gibt auch Grönemeyers „Bochum“, “Hamm“ von Till und Obel. „Oberhausen“ hat vielleicht den Nerv getroffen, weil wir es mit Inbrunst singen. Diese Liebe zu dem Nicht-Einheitlichen. Wir haben hier seit 150 Jahre ein Gemisch aus Polen, Zuwanderern, Ex-Bauern, Italienern, Türken. Ein Melting-Pot. Man kommt immer mehr dazu, das als Stärke zu begreifen. Ich find‘ es wichtig, dass man um sich herum zehn mal zehn Meter schafft, auf denen man die Leute kennt, wo man ‘ner alten Dame über die Straße hilft. Das find ich wichtiger als Nichtraucherkneipen einzuführen.

Sie sind militante Raucherin?

Die erste Großdemonstration fürs freie Rauchen wird im Ruhrgebiet stattfinden. Wir hatten hier schon immer Schlote, hier wird geraucht!

Aber so viele Schlote gibt es nicht mehr.

Das mit dem Strukturwandel ist schwierig. Es wird so getan, als wär‘ Arbeitslosigkeit eine Freizeitaktivität. Aber irgendwann ist auch Shopping nicht mehr möglich. Irgendwann haben die Leute alles eingekauft oder kein Geld mehr einzukaufen. Und dann kommt die Frage: Was dann?

Wer hat Sie kabarettistisch geprägt?

Loriot. Sein Humor war für Deutschland ein Quantensprung. Aber für zwei Frauen im Kabarett, die sich mit nichtpolitischen Themen beschäftigen, gibt es keine Vorbilder.

Sie haben jetzt nackte Männer auf die Bühne gestellt.

Der Film „Ganz oder gar nicht“ basiert ja auf einem Boulevardtheaterstück. Ich hab‘ die Ruhrgebietsfassung gemacht. Dieses Stück hat danach geschrien, hier zu spielen. Wir zeigen sechs Ruhrgebietsjungs, die sich an den eigenen Haaren aus der Scheiße ziehen.

Den eigenen Schamhaaren...

Nee, den eigenen Tangastring.

Die sind am Ende doch nicht nackig auf der Bühne?

Dooooch. Aber zunächst sehen wir sechs Jungs aus dem Ruhrgebiet mit Arbeitslosenhintergründen. Auch Verzweiflung. Man sieht den Sohn der Budenbesitzerin... die Bude, eine Tankstelle wurde daneben gebaut...

Wiederum Strukturwandel?

Ja, ich sag‘ immer: Zurück zur Bude! Und zwar eine, wo Zigaretten verkauft werden, die überall geraucht werden dürfen.