Schweizer Schule

Joachim Löw hat seine Spielerkarriere einst in der Schweiz beendet – schon damals galt er als Taktikfreak. Sein ehemaliger Mentor Rolf Fringer über die Wurzeln des netten Herrn Löw als Trainer

VON STEFAN OSTERHAUS

Damals, nach den Spielen, es ist mehr als 15 Jahre her, saßen sie in einem der Wirtshäuser noch beieinander und spielten Karten. Die Leute ließen sie unbehelligt, auch wenn sie Spieler der Nationalliga A waren, sie gehörten ja doch irgendwie dazu, damals in Schaffhausen, einem Ort, der einfach zu klein für echte Prominenz ist.

Joachim Löw, der Mann, den sie Jogi nennen, saß manchmal auch dabei, er spielte beim FC Schaffhausen, ein solider Kicker mit mehr als soliden technischen Fertigkeiten, aber vor allem ein Spieler, der Fragen stellte und auch noch nachdachte, wenn er die Kabine verlassen hatte. Es ging um Taktik, um Pressing, um Laufwege. „Er hat immer fürs Ganze mitgedacht“, sagt Rolf Fringer.

Der Austro-Helvete Fringer trainiert heute den FC St. Gallen. Damals trainierte er den FC Schaffhausen, in den Joachim Löw fand, ehe es ihn von dort nach Winterthur und dann als Spielertrainer zum FC Frauenfeld zog. Sechs Jahre war die Schweiz die Heimat des Joachim Löw. Die ersten Trainerzertifikate stammen von dort, bereits während seiner Spielerzeit coachte er Jugendmannschaften, und so ist das Spiel der deutschen Nationalmannschaft unter Löw in gewisser Weise auch eines nach Schweizer Prägung. Widerspruch ist zwecklos, wenn Fringer erklärt: „Er hat sich hier schon inspirieren lassen.“

Es waren die Diskussionen über Taktik, die Fringer damals schon in Löw den Trainer im Spieler sehen ließen. Denn Löw habe vieles getan auf dem Platz, nur eines nicht: „Er hat nie für sich gespielt.“ Nicht viele haben Fragen nach den Zusammenhängen gestellt und ans Ganze gedacht, wenn auch nicht an das ganz große Ganze, vor dem Löw jetzt steht: vor seinem ersten Länderspiel als Cheftrainer am Mittwoch gegen Schweden.

Skepsis gegenüber der Befähigung des neuen Mannes gibt es kaum. Niemand anders könne den Job besser tun als Löw, heißt es. Selten waren die Meinungen einhelliger als anlässlich der Berufung des Klinsmann-Assistenten. Dabei hätte noch vor zwei Jahren die Trainer-Empfehlung Löw Kopfschütteln hervorgerufen, was Fringer ziemlich unfair findet. „Die Leute haben vergessen, dass er früher guten Fußball hat spielen lassen.“ Wenn solche Sätze fallen, dann klingt es fast so, als sei Jogi Löw ein Veteran, der sich mit Udo Lattek zum Seniorenskat verabredet. Dabei ist er erst 46 Jahre alt – und doch schon seit mehr als zehn Jahren als Trainer im Geschäft.

Natürlich war es der Mentor Fringer, der ihn zum Wechsel auf die Bank animierte. Fringer unterschrieb 1995 in Stuttgart. Sein Assistent hieß Joachim Löw, der der Stuttgarter Zeitung bald berichtete: „Von ihm habe ich am meisten gelernt.“ Bald musste er das Wissen anwenden, denn Fringer demissionierte nach einer Fehde mit Gerhard Mayer-Vorfelder, dem VfB-Boss. Löw wurde Interimstrainer, doch die Mannschaft spielte bald zu gut, als dass man den überaus populären Coach noch hätte ablösen können. Schnell konnte man sehen, was er mitgenommen hatte aus der Schweiz: „Er kam damals mit dem Eindruck des Fußballs mit zwei Manndeckern, und die sind immer die besten“, sagt Fringer.

Zonendeckung, Pressing, Raumaufteilung – die Erkenntnis, dass „elf Mann Fußball spielen müssen“ (Fringer), stamme aus seinen Jahren im Alpenland, deren an Erfolgen nicht eben reiche Fußballtradition es erst gar nicht erlaubt, in Selbstgefälligkeit zu verfallen: „Wir hier müssen immer ein wenig nach draußen schauen, nach Italien, Frankreich und England.“ Wahrscheinlich rührt daher die Haltung des Joachim Löw, neue Methoden nicht ungeprüft als Unfug zu verwerfen und den Spielern Gummibänder anzutragen, wenn es ihm sinnvoll erscheint. Und zumindest die frühen Jahre zeigten erfolgreichen Fußball. Das notorische magische Dreieck – Balakow, Elber, Bobic – spielte unter Löw beim VfB immerhin um den Europacup der Pokalsieger, was manche schon vergessen haben, die Löw auf seine eher unglückliche Episode beim Karlsruher SC und ein gescheitertes Engagement bei Austria Wien reduzieren. Für die ist der Bundestrainer nach wie vor bloß der nette Herr Löw.

Als solchen hat ihn Fringer zwar auch kennen gelernt, doch dem Cheftrainer mangele es keinesfalls an Konsequenz: „Er ist ganz normal durchsetzungsfähig. Wenn man Co-Trainer ist und dann auf den Chefposten rückt, dann hat man vielleicht zunächst das Gefühl, man muss sich zurücknehmen. Aber Jogi Löw war ja schon Cheftrainer bei vielen Vereinen.“

Und hat er sonst noch etwas mitgenommen aus der Schweiz? Fringer vermisst jedenfalls noch „einen Pullover und drei Jeans. Das ist aber nicht schlimm, da ich ein bisschen zugenommen habe.“ Mutmaßlich könnte die Übergabe an den bis dahin womöglich erschlankten Fringer in zwei Jahren stattfinden. Der hat keine Zweifel an einer erfolgreichen Qualifikation der Deutschen unter seinem Meisterschüler, für den ein Turnier an alter Wirkungsstätte gewiss nicht uncharmant wäre: „Die Spieler sehen doch, dass er was davon versteht. Und wenn einer schon vorher zwei Drittel der praktischen Arbeit gemacht hat, habe ich gar keine Angst.“ Na, dann.