In der Debatte um einen Libanoneinsatz treten alte Reflexe zutage
: Keine Frage der historischen Moral

Plötzlich kehrt ein Argument wieder, das in der Debatte über deutsche Kriegseinsätze längst überholt erschien. Der Holocaust, sagen die Gegner eines Bundeswehreinsatzes in Nahost, verbiete die Entsendung deutscher Soldaten an die Grenze des Staates Israel – mit dem Risiko, im Extremfall auf Israelis schießen zu müssen. Der Holocaust, argumentieren die Befürworter, zwinge die Deutschen zu einem besonderen Engagement für das Existenzrecht des Staates Israel – mit der Pflicht, auch das Leben eigener Soldaten zu riskieren.

Es ist das Déjà-vu einer Debatte, die in den Neunzigerjahren grundsätzlich über die Auslandseinsätze der Bundeswehr geführt wurde. Von den Gegnern solcher Einsätze beriefen sich nicht wenige auf das Argument, deutsche Soldaten dürften nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder jenseits der eigenen Grenzen aktiv werden, erst recht nicht auf dem Balkan. Aber auch die Befürworter machten die historische Moral zur Keule. Im Kosovokrieg etwa behaupteten Außenminister Joschka Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping gleichermaßen, Auschwitz verpflichte die Deutschen ganz besonders zum Einsatz gegen Völkermorde in Gegenwart und Zukunft.

Nach dieser Debatte von eher zweifelhafter Qualität schien es eigentlich Konsens zu sein, dass der Holocaust als politische Waffe für den Alltag nicht taugt. In späteren Diskussionen über Bundeswehreinsätze etwa in Afghanistan oder im Kongo wurde stattdessen über Fragen der Gegenwart gestritten, über das Für und Wider von Militäreinsätzen im Allgemeinen, über ihre moralische und politische Rechtfertigung, über ihre Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit im konkreten Fall.

Nun, wo es – auch – um Israel geht, fällt ein Teil der politischen Klasse plötzlich in alte Reflexe zurück, wird der Holocaust als Argument missbraucht. Dabei möchten sich die einen aus dem unübersichtlichen Nahostkonflikt ohnehin lieber heraushalten, und den anderen mag es um neuen außenpolitischen Spielraum gehen. In beiden Fällen ist es besser, die wahren Argumente offen auf den Tisch zu legen. Wer die Moral zum Instrument degradiert, handelt seinerseits unmoralisch.

RALPH BOLLMANN