„Im nationalen Interesse“

Kanzlerin sowie CDU und SPD lassen vorsichtig ihre Bereitschaft erkennen, deutsche Truppen in den Libanon zu schicken

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Noch genießt die Kanzlerin ihren Sommerurlaub in den italienischen Alpen. Aber ganz wohl ist Angela Merkel offenbar nicht dabei, angesichts der Libanonkrise Außenminister Frank-Walter Steinmeier das internationale Spielfeld ganz allein zu überlassen. Besonders jetzt, da die neue UN-Resolution und der Waffenstillstand im Libanon eine Debatte in Gang setzen, die die deutsche Politik jäh aus ihrer Sommerpause reißt: Sollen Bundeswehrsoldaten als Teil der UN-Friedenstruppe in den Nahen Osten ziehen? Müssen sie ihre Gewehre möglicherweise auf israelische Juden richten? Wird also sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust eines der letzten Tabus der deutschen Außenpolitik gebrochen?

Diese historische Debatte kann Angela Merkel nicht einfach laufen lassen, Urlaub hin oder her. Also schickte sie am Montag ihren Regierungssprecher Thomas Steg vor die Presse und ließ ihn den Stand der Dinge aus Sicht der Kanzlerin verkünden. Ihre Position, was einen möglichen Einsatz der Bundeswehr zur Befriedung des Libanonkonflikts betrifft, lautet zusammengefasst so: Kein Schnellschuss, weder in die eine oder andere Richtung. Es gebe in dieser Frage „weder Vorentscheidungen noch Festlegungen“, sagte Steg. Die Bundesregierung wolle zunächst die UN-Truppenstellerkonferenzen in New York in dieser Woche abwarten. Erst wenn klar sei, welche Fähigkeiten von der Libanon-Friedenstruppe erwartet würden, könne Berlin entscheiden, ob und gegebenenfalls welchen Beitrag Deutschland zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 1701 leiste. Ein Beschluss des Kabinetts dazu? Frühestens Mittwoch kommender Woche.

Diese Vorsicht hat einen Grund: Die große Koalition stellt sich mittlerweile darauf ein, deutsche Soldaten in den Nahen Osten zu schicken. Die Israelis wünschen es, viele arabische Staaten wollen es, die Partner in Europa und Amerika erwarten es. Auch wenn der Waffenstillstand noch fragil ist und nicht einmal im Ansatz feststeht, wie viele Bundeswehrsoldaten für welche Aufgaben gebraucht werden – der Bundesregierung ist klar, dass die Mission heikel wird und ohne eine grundsätzliche, auch emotionale Debatte im Land nicht zu haben ist. Eine Zustimmung des Bundestages scheint keinesfalls sicher. Jedes unbedachte Wort der Kanzlerin könnte den Erfolg des Unternehmens gefährden.

Aber anklingen lassen hat Merkel ihre Position gestern dann doch. Einen deutschen Beitrag zu Frieden und Stabilität im Nahen Osten erklärte der Regierungssprecher zu einer Frage des „unmittelbaren nationalen Interesses“. Einerseits aus historischen Gründen – weil die Sicherung der staatlichen Existenz Israels eine Grundkonstante der deutschen Außenpolitik sei. Andererseits aus geopolitischen Gründen – weil der Nahe Osten in unmittelbarer Nachbarschaft Europas liege. Und eine rote Linie für einen möglichen Bundeswehreinsatz ließ Merkel gleich noch mit ziehen: „Es ist nicht denkbar, dass politisch Verantwortliche in Deutschland entscheiden“, so ihr Sprecher, „dass deutsche Soldaten auf israelische Soldaten oder israelische Staatsbürger schießen.“ Eine solche Situation, fügte Steg hinzu, sei angesichts der UN-Resolution 1701 allerdings nur „abstrakt“ denkbar.

Mit dieser bedingten Einsatzbereitschaft liegt die Kanzlerin vermutlich im Mainstream der beiden großen Volksparteien. Das SPD-Präsidium stützte gestern in einer Telefonschaltkonferenz die Position ihres Vorsitzenden Kurt Beck, der am Wochenende als erster hochrangiger Vertreter der großen Koalition deutsche Soldaten als Teil der UN-Truppe grundsätzlich befürwortet hatte. Die SPD-Spitze mahnte jedoch auch an, die Nahost-Debatte „nicht auf militärische und polizeiliche Maßnahmen“ zu verengen. Beck hatte in Bezug auf einen deutschen Militäreinsatz lediglich von „Hilfeleistungen hinsichtlich der Sicherung von Seeseite her“ und „bundespolizeiliche Hilfen für Grenzschutzmaßnahmen nach Syrien hin“ gesprochen.

Eine ähnlich zurückhaltende Position bezogen gestern die CDU-Minister Franz Josef Jung (Verteidigung) und Wolfgang Schäuble (Innen). Deutschland könne bei einem europäischen Einsatz nicht außen vor bleiben, argumentierte Schäuble. „Wir sagen: Wir wollen uns nicht verweigern. Wir können uns nicht verweigern.“ In beiden großen Parteien – von CSU, FDP, Grünen und Linkspartei ganz abgesehen – gibt es allerdings auch erheblichen Widerstand. SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler machte der Regierung deutlich, welche Überzeugungsarbeit sie noch zu leisten hat. „Ein gutes Drittel der Fraktion“, sagte er, „wird sich mit einer deutschen militärischen Beteiligung sehr, sehr schwer tun.“