Das Kontrollproblem

In Göteborg werden zwei Tüten mit verdächtigem Inhalt sichergestellt. Athleten aus Russland stehen unter Verdacht – Dopinganalytiker Wilhelm Schänzer setzt sich für Qualifikationswettbewerbe ein

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Die ersten Bilanzen waren erschienen. Die Leichtathletik-EM, hieß es in den meisten Resümees, sei ein großer Erfolg gewesen. Das Wetter war zwar nur an den ersten Wettbewerbstagen gut, doch die Stimmung in Göteborg sei auch an den trüben Tagen bestens gewesen. Die Leistungen der Athleten und Athletinnen waren nicht überragend, aber auch das wurde zumeist positiv bewertet. In Göteborg sei der Beweis angetreten worden, dass eine große Leichtathletikmeisterschaft auch dann richtig gut beim Publikum ankommen kann, wenn keine neuen Rekorde aufgestellt werden. An eine dopingfreie Leichtathletik wollte dennoch niemand glauben. Die Dominanz der russischen Athletinnen war doch ein wenig zu auffällig. 11 Goldmedaillen gewannen die Russinnen, 28 Medaillen waren es insgesamt.

Seit die Polizei in Göteborg am Montag zwei Plastiktüten sichergestellt hat, die eine voll mit Spritzen, Ampullen und Arzneimittelpackungen, die andere gefüllt mit Materialien für Bluttransfusionen, spricht niemand mehr von sauberen Wettspielen. Die Medikamentenpackungen und Ampullen sind in russischer Sprache beschriftet. Schon während die Wettbewerbe noch liefen, waren erste Anschuldigungen laut geworden. Spanische Medien berichteten von einem neuen Trend in der Läuferszene. Mini-Dosen des Blutdopingmittels Epo seien im Umlauf und vor allem in Russland gefragt. Natürlich wehrte sich die russische Teamleitung umgehend gegen alle Verdächtigungen. Gleichzeitig freute sie sich über das Lob des russischen Leichtathletikverbandspräsidenten Valentin Balachnitschew, der vor allem deshalb so begeistert war, weil nicht nur die erfahrenen Medaillengewinner vergangener Meisterschaften überzeugt haben, sondern auch viele junge Sportler Podestplätze errungen hätten. Gerade das hatte zuvor viele Beobachter aufgeschreckt.

Dass tatsächlich mit Kleinstmengen an Epo operiert wird, daran hat Wilhelm Schänzer, der Leiter des Instituts für Biochemie an der Sporthochschule Köln, kaum Zweifel: „Das vermuten wir schon seit längerer Zeit.“ Der Dopinganalytiker meint, dass vor allem in den Ländern, „in denen es kaum Trainingskontrollen gibt“, gezielt am Blut herummanipuliert wird. In den Phasen, in denen die Athleten nicht mit Kontrollen rechnen würden, arbeiteten sie mit größeren Dosen. Um den Dopingeffekt aufrechtzuerhalten und die körpereigene Produktion von roten Blutkörperchen weiter anzukurbeln, reichen dann kleine Mengen aus, die bei Kontrollen nicht nachgewiesen werden könnten.

Mehr als 300 Dopingproben sind in Göteborg von den Athleten genommen worden. Noch gibt es keine Ergebnisse. Doch wer nach dem beschriebenen Schema vorgegangen ist, wird wohl nicht erwischt. Das Problem, so Schänzer, liege nicht in der Analysetechnik, das Problem liege im Kontrollsystem.

Es ist ein altes Problem. Auch das Steroid-Doping sei nur durch mehr unangekündigte Kontrollen in den Griff zu bekommen. Wichtig für den Formaufbau mit illegalen Hilfsmitteln ist vor allem die Zeit zwei, drei Wochen vor den großen Wettkämpfen. Schänzer schlägt deshalb vor, Sportler nur noch dann zu internationalen Meisterschaften zuzulassen, wenn sie zuvor an gut überwachten Qualifikationswettbewerben teilgenommen haben. Nur so könne ausgeschlossen werden, dass Sportler bei Europameisterschaften auftauchen, die zuvor in der Saison noch gar nicht in Erscheinung getreten sind. Die Dopinganalytiker können so etwas nur fordern. „Beschließen muss das der Internationale Leichtathletikverband“, so Schänzer.

Die russische Anti-Doping-Behörde wies indes alle Verdächtigungen zurück. Nikolay Durmanjow, der Chef der Behörde, hielt gestern sogar eine Intrige gegen das Team für möglich. Gänzlich ungerührt betonte derweil Russlands oberster Leichtathletikfunktionär, dass er sein Team auf einem guten Weg in Richtung Peking 2008 sehe. Bis dahin, so Balachnitschew, sei genug Zeit, die Misstände von Göteborg zu beseitigen. Was er damit meinte? Die Leistung der russischen Männer – die gewannen nur 6 Medaillen.