Von Freunden umkreist

Die Wiederwahl der umstrittenen ORF-Generaldirektorin Monika Lindner morgen steht auf der Kippe

Morgen tritt der ORF-Stiftungsrat zusammen, um den neuen Generaldirektor oder die alte Generaldirektorin zu wählen. Die Bestellung der Rundfunkführung für die nächsten fünf Jahre wäre eigentlich erst im Herbst fällig, wurde aber von der Regierung vorverlegt, weil sich mit den Wahlen vom 1. Oktober die politischen Kräfteverhältnisse im Stiftungsrat zuungunsten der ÖVP verändern können.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel schickt die amtierende Generaldirektorin Monika Lindner, 61, ins Rennen, als Paketangebot mit dem derzeitigen Chefredakteur Werner Mück, der zum allmächtigen Informationsdirektor aufsteigen soll. Vor allem gegen Mück gibt es hausintern heftigen Widerstand. Eine Untersuchungskommission hat Vorwürfe bestätigt, Mück habe politisch missliebige Redakteure bedroht und Frauen rüde beschimpft. Beide gelten als Erfüllungsgehilfen der ÖVP, die aus dem ORF ein Beweihräucherungsinstrument für die Kanzlerpartei gemacht hätten. Dagegen hat sich im Mai die unabhängige Plattform www.SOS-ORF.at formiert, die im Internet schon über 74.000 Unterstützungserklärungen gesammelt hat. Sie tritt gegen den Zugriff der Politik und für die Erfüllung des Bildungsauftrags des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein. Eigene Kandidaten hat die Plattform nicht.

Die ÖVP gebietet über 15 der 35 Stiftungsrätinnen und -räte. Eine absolute Mehrheit von 18 Stimmen ist für die Wahl erforderlich. Stiftungsräte sind formal unabhängig, aber in „Freundeskreisen“ der politischen Parteien organisiert. Durch Wahlschlappen in Salzburg und der Steiermark musste die ÖVP zwei Stiftungsräte an die SPÖ abtreten, und der Koalitionspartner BZÖ ist knapp vor den Wahlen kein sicherer Verbündeter mehr. Deswegen ist die Wiederwahl Lindners, die von Seiten der Regierung als reiner Formalakt vorgesehen war, keineswegs ausgemacht.

Die Opposition hat sich nämlich zu einer Regenbogenkoalition zusammengeschlossen, der auch die beiden unabhängigen Räte und selbst das BZÖ zuneigen. Ihr Kandidat ist der bisherige ORF-Finanzdirektor Alexander Wrabetz. Trotz seines roten Parteibuchs soll er seine Position nie zugunsten von Parteifreunden missbraucht haben. Er will keinen Informationschef installieren, sondern die einzelnen Redaktionen unabhängig arbeiten lassen. Insgesamt wünscht er mehr Eigenproduktionen und neue Kulturformate.

Dem Vernehmen nach versucht Wolfgang Schüssel, das BZÖ durch einen politischen Kuhhandel noch umzustimmen. Doch BZÖ-Chef Peter Westenthaler fühlte sich schon bei der gemeinsam verhandelten ORF-Reform vor fünf Jahren von der ÖVP über den Tisch gezogen. Mehrere Stiftungsräte sollen deshalb attraktive Angebote bekommen haben. „Der Erste, der umschwenkt, hat für sein Leben ausgesorgt“, so zitiert die Nachrichtenagentur APA einen, der ein ÖVP-Angebot offenbar zurückgewiesen hat.

Insgesamt stehen sechs Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl. Wenn es knapp wird, könnte die ÖVP den ihr durchaus nahestehenden ORF-Programmplaner Wolfgang Lorenz oder den ehemaligen n-tv-Chef Helmut Brandstätter als Kompromiss anbieten. RALF LEONHARD