AUF WOHNUNGSSUCHE (1): Max weiß nichts
Die Imbissbude steht in einer Baulücke, sieht aus wie selbstgebastelt. Weiß gestrichenes Holz, an der Seite flattert die Werbefahne einer Eiskremmarke. Innen stehen runde Stehtische und ein Tresen aus Plexiglas. Auf dem Tresen befinden sich Serviettenhalter und eine Nierenschale mit Plastikgabeln. Der Imbissbudenkoch sieht aus wie Andre Agassi im fortgeschrittenen Alter – dicklicher Mann, schütteres Haar, weißes Unterhemd über grauer Arbeiterhose. Um ihn herum schweben kleine Fettwolken. Olfaktorische Nuancen sind nicht mehr auszumachen.
Max ordert eine Portion Fritten. Ich habe keinen Appetit, nehme nur eine Cola. Wir lehnen uns an einen Tisch, während Agassi ein Gitter in eine Wanne mit heißem Fett lässt und unter dem einsetzenden Zischeln anfängt, Ketchup- und Mayonnaisetuben zu sortieren. „Du suchst also eine Wohnung?“, fragt Max plötzlich. Ich nicke stumm. „Zum 1. Oktober? Denkst du nicht, das ist ein wenig knapp?“ Ich zucke mit den Achseln. Ich weiß nur, dass ich aus meiner 2er-WG rauswill, weil ich einen Winter wie den letzten nicht mehr erleben möchte. Wir haben Kohleofen. Außerdem wohnen wir meistens zu dritt.
Max nimmt eine Pappschale in Empfang. Er legt eine Münze hin. Agassi wendet sich ab. Max steckt die Münze wieder ein. Die Glastür bimmelt, wir gehen nach draußen. Er schaufelt die Kartoffelstäbe in den Mund, sein Charakterkinn schiebt sich hin und her, seine blauen Augen leuchten zufrieden. Wir setzen uns aufs Trottoir. Ein Junge beäugt uns neidisch. Im Fenster eines Nachbarhauses dudelt ein Radio.
„Weißt du eine Wohnung?“, frage ich. „Ich weiß nichts“, antwortet er. Max, Sohn eines Immobilienhais, wirft lässig die ausgekratzte Schale in Richtung eines Plastikmülleimers. Und trifft genau. Die Schale macht ein dumpfes Geräusch wie beim Ausfahren eines Spiegels an einem Satelliten. RENÉ HAMANN
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