Stille Elite am Rhein

Der Düsseldorfer Industrieclub ist gut 30 Jahre älter als das Land Nordrhein-Westfalen. Seit dem Kaiserreich treffen sich in dem diskreten und elitären Zirkel die rheinisch-westfälischen Bosse aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft

AUS DÜSSELDORFMARTIN TEIGELER

Die wirklich Mächtigen brauchen kein mächtiges Türschild. Wer den Sitz des Düsseldorfer Industrieclubs sucht, könnte fast vorbeilaufen am unscheinbaren Eingang des Vereinsgebäudes. Es ist ein kühler Augusttag. Männer in dunklen Businessanzügen laufen eilig durch die Elberfelder Straße. Die Kö liegt nur ein paar Schritte entfernt, um die Ecke vor dem Steigenberger Parkhotel fahren Gäste in teuren Autos vor. Die Eingangshalle des Industrieclubs in dem Häuserblock aus der Gründerzeit ist menschenleer. Nur ein Portier in einer uniformähnlichen Montur wartet. Der kleine Mann mit den grauen Haaren sagt freundlich: „Bitte abzulegen“.

In einem altmodischen engen Aufzug geht es hoch in die zweite Etage. Auch hier ist es leer an diesem Vormittag. Nur manchmal huscht ein Zimmermädchen oder ein Hausdiener über die Flure. Die Clubmitglieder treffen sich meist mittags und abends – eher selten zum Frühstück. Nebeneinander liegen kleine verlassene Konferenzräume, die nach großen Industrieunternehmen benannt sind. Das ThyssenKrupp-Zimmer strahlt mit Edelstahlmobiliar. Daneben das Mannesmann-Zimmer. Im Eon-Zimmer wartet Klaus Germann. Der 67-Jährige ist Geschäftsführer des Industrieclubs. Der hochaufgeschossene Mann lacht zur Begrüßung und sitzt an einem runden Holztisch. Er macht weit schwingende Bewegungen mit den Armen. Germann ist ein Kommunikator. Er war früher Pressechef bei Mannesmann und Rheinmetall. Seit 1980 gehört er dem Industrieclub an. Nach seiner Pensionierung wurde er gebeten, die Geschäfte des Clubs zu führen.

Germann liegt daran, mit einigen „Vorurteilen“ über den Industrieclub aufzuräumen. Ist der Club ein Geheimzirkel? Ein verschworener Haufen der Mächtigen im Land? „Wir haben keine Macht und wir streben auch keine Macht an“, sagt Germann und lehnt sich dabei in seinem Stuhl zurück. Er lacht jetzt nicht mehr: „Wir wollen ein Forum der Kommunikation sein, ein Teil der Bürgergesellschaft.“ Legenden über den rheinisch-westfälischen Elitentreff aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur weist er zurück. Der frühere FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff habe das Selbstverständnis einmal gut formuliert, zitiert Germann: „Der Industrieclub ist vertikal elitär und horizontal egalitär“. Die Mitglieder des Clubs seien „Leistungseliten, die sich auf Augenhöhe begegnen“, sagt Germann und streckt dabei seine geöffneten Arme von sich.

„Leistungseliten“. In 60 Jahren NRW war der exklusive Industrieclub immer dabei. „Konferenzzimmer des Ruhrgebiets“ wird er oft genannt. So gut wie alle wichtigen Wirtschaftsführer von Rhein und Ruhr waren und sind Mitglieder des Clubs. Die Geschichte des Clubs überschreitet die Jahresgrenzen des NRW-Landesjubiläums. Bereits 1912 wurde der Verein in Düsseldorf gegründet. In behaglich eingerichteten Konferenzzimmern tauschten sich die Wirtschaftsbosse, Politiker und Verwaltungsmänner in den folgenden Jahren aus – über den Weltkrieg, den Zusammenbruch des Kaiserreichs, die neue Demokratie. Die politische Grundhaltung der großbürgerlichen Clubmitglieder war meist konservativ bis deutschnational. Nur kurzzeitig übernahmen Linke den Club. Anfang 1919 besetzten Spartakisten das Vereinsgebäude. Die Rebellen ruhten sich im Club vom Revolutionsstress aus.

Berühmt wurde der Club durch eine einzige Rede. Am Abend des 26. Januar 1932 kam Adolf Hitler nach Düsseldorf. Das Interesse an dem NSDAP-Chef war so groß, dass der Club eigens in den größeren Saal des benachbarten Parkhotels wechselte. Im Großen Ballsaal der Luxusherberge lauschten mehr als 600 Industrielle dem „Führer“. Hitler sprach unter dem Beifall der Anwesenden vom „Herrengefühl der weißen Rasse“ und vom „Herrensinn“ in Wirtschaft und Politik. Wissenschaftlern diente der Hitler-Auftritt vor der rheinisch-westfälischen Wirtschaftselite jahrzehntelang als Beleg für die These, die Großindustrie habe Hitler an die Macht gebracht. Tatsächlich haben Clubmitglieder wie Emil Kirdorf und Fritz Thyssen die Nationalsozialisten gesponsert.

Die Hitler-Rede ist nicht das Lieblingsthema von Geschäftsführer Germann. Darauf angesprochen, stöhnt er kurz auf und sagt: „Die Hitler-Rede ist mehr als 70 Jahre her.“ Der Club habe die Rede aufgearbeitet. „Da haben wir wissenschaftlich fundiert Ross und Reiter genannt“, sagt Germann. Der Düsseldorfer Geschichtsprofessor Volker Ackermann hat die Geschichte im Auftrag des Clubs aufgeschrieben. „Treffpunkt der Eliten“ heißt sein Werk. „Die Legende um die Hitler-Rede spielt in der historischen Forschung kaum noch eine Rolle“, sagt Ackermann. Die meisten Mitglieder hätten eher rechtskonservativen Parteien nahe gestanden – nicht der NSDAP. Der Industrieclub habe Hitler 1932 eingeladen, nachdem kurz zuvor ein SPD-Politiker in Düsseldorf gesprochen hatte – aus politischer Ausgewogenheit gewissermaßen.

Geschäftsführer Germann spricht lieber über die Gegenwart des Industrieclubs. Bei einem Rundgang durch das Haus verweist er auf die offen stehende Eingangspforte. „Wir sind offen“, sagt Germann und breitet lächelnd die Arme aus. „Wir stehen im Internet“, sagt er. Seit den 70er Jahren habe man sich auch für weibliche Mitglieder geöffnet, sagt Germann. Überall im Haus hängen Gemälde der ehemaligen Präsidenten an der Wand. Allesamt Männer. Man fördere unter anderem junge Forscher mit Stipendien und einem gut dotierten Wissenschaftspreis. Auch Nachwuchssorgen habe der gemeinnützige Verein nicht. „Es existiert eine große Nachfrage, Mitglied im Club zu werden“, sagt Germann. Man kann nicht einfach in den Düsseldorfer Industrieclub eintreten. Frauen und Männer, die nicht älter sind als 60 Jahre, können sich bewerben – auf Empfehlung langjähriger Clubmitglieder, so genannter „Paten“. Ein „Aufnahme-Ausschuss“ entscheidet dann über die Mitgliedschaft.

Noch ein Abstecher in die Bar des Clubs. Schwere Sessel, eine Bibliothek, auf der Bartheke im amerikanischen Stil stehen kleine Glaspöttchen mit gesalzenen Erdnüssen. Es riecht nach Leder. Berühmte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft sind an diesem Vormittag nicht zu sehen. Christa Thoben, die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin von der CDU, soll unlängst da gewesen sein zum diskreten Gespräch mit wichtigen Firmenbossen. Die Öffentlichkeit wird nach solchen Meetings meist nicht unterrichtet. Zum Abschied grüßt der Portier. Draußen vor der Tür hat es angefangen zu regnen.