Der stille Student

Ich erinnere mich dunkel an erste Treffen von taz-Vorbereitungsgruppen 1978 in Berlin. In einem Schülerladen in Charlottenburg trafen sich die Leute, die zukünftig gerne über Soziales, Gewerkschaften und Wirtschaft schreiben wollten. Unsere Erfahrungen mit dem Zeitungmachen waren sehr überschaubar, aber wir hatten starke Meinungen.

Um mit dem Zeitungmachen trotzdem voranzukommen, trafen wir uns so ungefähr einmal im Vierteljahr, meistens in Frankfurt, um sogenannte Null-Nummern zu produzieren, deren Herstellung zumeist weit länger als einen Tag dauerten und mit denen wir unseren zukünftigen Lesern zeigen wollten, was demnächst so täglich auf dem Tisch liegen sollte.

Dabei stellte sich natürlich schnell heraus, dass zum Zeitungmachen mehr als eine starke Meinung und eine Schreibmaschine gehörten –, es gab tatsächlich noch keine Computer – sondern auch eine Menge technischer Sachverstand, um aus ein paar vollgetippten DIN-A4- Seiten eine Zeitung zu machen.

Dass man zum Zeitungmachen auch Geld braucht, war natürlich auch jedem klar – das war schließlich einer der Hauptgründe, warum die taz dann nicht in Frankfurt, sondern in Berlin entstand: Weil es damals noch Berlin-Subventionen für Firmen gab, die sich in der Frontstadt ansiedelten. Aber es fehlte zunächst die Einsicht, dass jemand sich speziell um die Einnahmen und Ausgaben im Konkreten kümmern muss, so buchhaltermäßig eben. Da in unserer Gruppe „Wirtschaft & Soziales“ am ehesten Leute vermutet wurden, die davon Ahnung hatten, sollten wir uns darum kümmern, und recht schnell rückte da plötzlich ein relativ zurückhaltender, eher stiller Student in den Fokus, der auf den Namen Kalle Ruch hörte.

Kalle war damals Volkswirtschaftsstudent – vielleicht sogar Betriebswirtschaft, ich weiß es nicht mehr so genau – jedenfalls jemand, der sich vielleicht um diesen lästigen Bereich der Geldverwaltung kümmern konnte. Von dem, was die taz heute unter Geschäftsführung versteht, war damals noch keine Rede. Mit Macht und Einfluss schien der Posten auch nicht verbunden, und dass irgendjemand ihn für einen längeren Zeitraum übernehmen würde, war auch kaum denkbar – schließlich hatte man dann ja weniger Zeit zum Schreiben, und darum ging es ja schließlich beim Zeitungmachen.

Kalle hatte dann diesen blöden Job, sich um Mietverträge zu kümmern, Konten einzurichten und dafür zu sorgen, dass die Berlin-Subventionen auch tatsächlich auf einem taz-Konto ankamen. Trotzdem reichte das Geld natürlich nie, und Kalles wenig erfreuliche Aufgabe war es dann auch, bei jedem Treffen darauf hinzuweisen, dass kein Geld da ist und wir uns deshalb keine Löhne auszahlen können – weil nach den absolut notwendigen Fixkosten eben alles weg war.

Dafür durfte er sich dann regelmäßig am Brainstorming für die nächste Rettungskampagne beteiligen – an denen dann aber natürlich alle tazler beteiligt wurden.

In diesen ersten zehn Jahren, als die taz noch ein Verein und eine Chefredaktion völlig verpönt war und deshalb auch nicht existierte und die taz täglich um ihre Existenz kämpfte, wurde Kalle zum Geschäftsführer gestählt. Klar, dass ihn später kein Konflikt mehr umhauen konnte und keine Chefredaktion ihm – jedenfalls, soweit es ums Geld ging – jemals das Wasser reichen konnte. Schon erstaunlich, wie der stille Student von 1978 zur zentralen Figur der taz werden konnte, obwohl ihn damals und auch noch lange danach niemand in dieser Rolle gesehen hat. Jürgen Gottschlich

■ Jürgen Gottschlich, stellvertretender Chefredakteur 1992 bis 1994