: Autoethnographie des Raums
Das Projekt „Urban Contact Zone“ setzt sich mit der Bedeutung von bildender Kunst in der gegenwärtigen Umstrukturierung öffentlicher Räume auseinander. Bis Ende August ist dessen zweiter Teil zu Gast im Westwerk
In ihrem einflussreichen Essay „Arts of the Contact Zone“ definierte die New Yorker Linguistin Mary Louise Pratt vor 15 Jahren „Kontaktzonen“ als soziale Räume, in denen Kulturen sich treffen, aneinander geraten und sich auseinander setzen – oftmals im Zusammenhang stark asymmetrischer Machtbeziehungen. Der Begriff richtet sich gegen dominierende Modelle von einer homogenen Sprachgemeinschaft und bezeichnet diejenigen rhetorischen Situationen, die sich zwischen Gesprächsteilnehmern mit stark divergierenden Hintergründen oder Positionen entwickeln. In ihnen entsteht eine Art geteilte Literatur – eine Autoethnographie –, die Elemente beider Kulturen in einem in Rezeption wie Produktion heterogenen Text zusammenführt. Eine Literatur, in der sich so definierte „Andere“ als Antwort oder im Dialog mit den ethnographischen Texten der dominanten Kultur zu repräsentieren suchen. Jenen, die mit der „Kunst der Kontaktzonen“ – Transkulturation, Kritik, Kollaboration, Bilingualität, Mediation, Parodie, Denunzierung und so weiter – nicht vertraut sind, erscheinen diese oftmals chaotisch oder unsinnig. Die Kontaktzone beschreibt insofern einen qua seiner Natur für alle Beteiligten beängstigenden Raum.
Das Projekt „Urban Contact Zone“ der Hamburger „Projektgruppe“ greift diesen Gedanken auf und bezieht ihn auf die gegenwärtig zu beobachtende Umstrukturierung öffentlicher Räume: auf aktuelle Prozesse der Stadtentwicklung und den medialen Wettbewerb urbaner Zentren untereinander – als Grundlage für die Erforschung der unterschiedlichsten urbanen kulturellen Aktionsfelder im Spannungsfeld sozialer Auseinandersetzungen. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass das Potenzial bildender Kunst bei Initiatoren und Trägern von Konzepten zur Stadterneuerung, urbaner Revitalisierung und Strategien des „City Branding“ immer stärker gefragt ist. Gegenden, Architekturen und Institutionen, die im Prozess sozialer Auseinandersetzung von Bedeutung sind, werden zunehmend zu Kunstorten.
Diesen Prozess hinterfragt der zweite Teil des Projekts, „Sharing Areas – Using Places“, nun bis Ende August im Westwerk: mit einer Ausstellung und Vorträgen und Specials. Zusammengebracht werden künstlerische Positionen aus verschiedenen Metropolen Europas, die eigene Antworten auf die urbanen Kontaktzonen suchen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf ausgewählten Städten wie Hamburg, St. Petersburg und Budapest, deren konkrete und potenzielle „Kunstorte“ und sozio-kulturell bedeutsamen Räume – Straßen, Plätze, Stadtviertel, Areale, an denen sich gesellschaftliche Tendenzen abzeichnen – Ausgangspunkt für künstlerische Arbeiten werden.
So werden etwa „Detour Brigade“ und Sándor Bartha aus Budapest nächste Woche eine Reihe designierter urbaner Räume in Hamburg für Interventionen aussuchen. Die gegen die Funktionalität gerichtete Idee ist, sie anders zu nutzen, als es offizielle „Bedienungsanleitungen“ nahe legen. ROBERT MATTHIES
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