Der Missionar

Das prägnanteste und zugleich unfreiwillig komischste Zitat der Woche stammt vom Augsburger Bischof Konrad Zdarsa (Foto). In seinem Plädoyer für die Verlegung des Sitzes der Deutschen Bischofskonferenz von Bonn nach Berlin sprach Zdarsa von der Aufforderung Papst Franziskus’, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen: „Der Osten unseres Landes und das ehemalige Ostberlin gelten ja vielen im Westen als die religiös und moralisch ausgebranntesten Landschaften Deutschlands.“ Deshalb müsse die Kirche dort „öffentlich wahrnehmbar präsent“ sein, sagte er der Lausitzer Rundschau. Was er damit meinte, wurde nicht ganz klar: die vielen Nazis oder Linkspartei-Mitglieder im Osten – oder das Friedrichshainer Berghain, in dem junge Menschen halb öffentlich Sex haben sollen? Oder nur die hohe Zahl an Nichtkirchenmitgliedern?

Sie glauben das ja wirklich in der Kirche: dass dort, wo keine Religion ist, auch keine Moral sein kann. Und weil der deutsche Osten die vielleicht säkularste Gegend der Welt ist, ist er zum Schrecken der Kirchenoffiziellen geworden.

Wenn Zdarsa wissen wollen würde, wie trübsinnig und amoralisch es in Regionen zugehen kann, in denen die Kirche die kulturelle Hegemonie erobert hat, müsste er etwa Andreas Altmanns Autobiografie „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ lesen – eine Abrechnung mit dem Aufwachsen in Altötting zwischen einem prügelnden katholischen Vater, einer von der katholischen Moral geschädigten Mutter und bigotten Pfarrern. Insbesondere Berlin war immer ein Asyl für diejenigen, die es in solchen Gegenden nicht mehr ausgehalten haben. Der Sitz der Deutschen Bischofskonferenz – er möge in Bonn bleiben. MARTIN REEH