Und das ist immer Delmenhorst

Rechte Volksverhetzer halten gezielt Ausschau nach Immobilien, für die die Gesellschaft keine Verwendung mehr hat. „Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist“, sangen Element Of Crime, „und das ist immer Delmenhorst“. Eine Ortsbegehung

von CLEMENS NIEDENTHAL

Rückblickend lässt sich kaum mehr sagen, was das wirklich Kuriose an dieser Geschichte war: dass plötzlich die gesamte Nation den Heimatort einer durchschnittlich talentierten Sängerin kannte? Oder dass einem bezüglich der Stadt Delmenhorst nichts einfallen wollte als der Name Sarah Connor?

Das zumindest dürfte sich in den vergangenen Tagen geändert haben. Seit der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Rechtsanwalt Jürgen Rieger stolze 3,4 Millionen Euro für einen Hotelbau in der Innenstadt geboten hat. Rieger und seine rechtsextreme Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited (s. Kasten) wollen das Hotel am Stadtpark als Schulungszentrum nutzen. Womit sich der plumpe Zweckbau aus den Siebzigern nahtlos in die Reihe jener Gebäude fügen würde, die eines gemeinsam haben: Aus den Nutzungszusammenhängen einer bürgerlichen Gesellschaft entlassen, wecken sie die Begehrlichkeiten jener, die diese Gesellschaft so gerne unterwandern würden.

In Hameln hatte Jürgen Rieger bereits 1999 ein leerstehendes Kino erworben, 2003 ließ er über einen Scheinbieter ein Schützen- und Gemeinschaftshaus im thüringischen Pößneck ersteigern. Und auch im niedersächsischen Verden standen Neonazis auf der Matte, als sich die Gemeinde von ihrer defizitären Stadthalle trennen wollte.

Denn das eint die genannten Gebäude und jene, die sich von Rieger und seinen Artgenossen gerne ködern lassen: Sie alle sind oder wähnen sich zumindest als Modernisierungsverlierer. Wie das Kino, dem das Multiplex die Kunden nahm. Das Schützenhaus, dem die gemeinsam feiernde Dorfgemeinschaft fehlt. Die Jugendlichen, denen im spätmodernen Patchwork der Möglichkeiten die Orientierung abhandengekommen ist. Oder eben ein Hotelkomplex, der mindestens in Teilen auch ein Opfer der verödeten Innenstädte geworden ist; im wenig touristisch geprägten Delmenhorst hatten sich die Übernachtungszahlen von 1992 auf 2004 annähernd halbiert.

Vor gut einem Jahr hatte Hotelier Günter Mergel das Hotel am Stadtpark endgültig schließen müssen. Von Misswirtschaft war die Rede, von kaltem Kaffee und lauwarmer Kantinenkost. Auch die angrenzende „Delmehalle“ scheint ausschließlich für die Bedürfnisse der Erlebnisgesellschaft der Siebzigerjahre konzipiert zu sein. Beharrlich rankt das Unkraut aus den Ritzen.

Auch das ein Stimmungsbild dieser Tage. Immerhin befindet sich der Saalbau, in dem anstelle kultureller Veranstaltungen längst Flohmärkte und Kaninchenschauen ausgerichtet werden, noch im Besitz der Stadt. Jürgen Rieger hatte bereits Interesse an der wenig rentablen Immobilie angemeldet. Wohl um jene Rechtsrock-Konzerte auf die „Delmehalle“-Bühne zu bringen, die ihm in seinem Hamelner Kino momentan baupolizeilich untersagt werden.

„Räume sind wie Kleidung“, so hat es die österreichische Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Katschnig-Fasch einmal gesagt. Der Delmenhorster Stadtraum will sich nun – um im Bild zu bleiben – ein paar Springerstiefel schnüren. Und das mitten im Zentrum zwischen Rathausplatz und Festwiese, ganz nah an den historischen Graftanlagen mit dem Tretbootverleih. Nicht irgendwo versteckt in einem Gewerbegebiet, wohin die spätmoderne Stadt all ihre Laster und moralischen Schieflagen so gerne abzuschieben gedenkt. Vor die Mauer gewissermaßen, ganz so wie früher ihre Pestkranken.

Jürgen Rieger hätte von seiner Hotelerwerbung aus den Marktplatz, die Agora, fest im Blick. Genauso das stolze Rathaus, einen wehrhaften Jugendstilbau des Architekten Heinz Stoffregen. Die neue Passage mit der vor eineinhalb Jahren eröffneten H&M-Filiale. Und die mittelalterliche Burginsel, ein letzter Verweis auf die lange Geschichte einer Stadt, die ihre große Blüte in den Industrialisierungsschüben der Gründerzeit erleben sollte. Jute, Wolle, Linoleum, dazu namhafte Maschinenfabriken – Delmenhorst erfuhr im Kleinen, was zur gleichen Zeit das Ruhrgebiet im Großen prägte. Die raumgreifenden Backsteinbauten der ehemaligen Kammgarnspinnerei Nordwolle wurde unlängst von der Unesco als besonders bewahrenswerte Architektur eingestuft.

Noch immer verweisen etwa 60 im gesamten Stadtgebiet verteilte Trinkhallen darauf, dass Delmenhorst lange Zeit eine Arbeiterstadt war. Längst ist es auch eine Arbeitslosenstadt geworden, knapp 16 Prozent beträgt die Quote. Mit ihr wächst die Angst, das gerade junge Menschen empfänglich für die schlichten Botschaften des rechtsextremen Multimanagers und seiner dubiosen Stiftung wären.

Gut 750.000 Euro haben Delmenhorster Bürger, angetrieben von einer Bürgerinitiative, bis zum gestrigen Nachmittag gesammelt, um dem Verkauf oder der Schenkung des 200-Betten-Hauses an die Wilhelm Tietjen Stiftung zuvorzukommen.

Auch in Delmenhorst selbst ist darüber diskutiert worden, ob der moralische Zorn der Bürger, ob dieser Aufstand der Aufrichtigen auch dann so beeindruckende Formen angenommen hätte, wenn sich die Neonazis um ein aufgelassenes Gewerbeareal in städtischer Randlage bemüht hätten.

Denn zumindest das hat Jürgen Rieger ganz unfreiwillig bereits erreicht: Der 80.000-Einwohner-Ort Delmenhorst, gerne die „Schlafstadt“ des nahen Bremen genannt, hat aus seiner buchstäblichen Mitte heraus wieder einen gemeinsamen Bürgersinn entwickelt. Und daran beteiligen sich plötzlich auch jene, die vor Jahren aus der grauen Industriestadt ins grüne Umland gezogen waren. Oder solche, denen Delmenhorst bisher tatsächlich nur bis zum Gartenzaun ihres Reihenhauses von Bedeutung war. Die morgens auf der A28 den kurzen Weg nach Bremen nehmen. Und abends zurück in ihre Garagen rollen. Vielleicht noch ein kurzer Stopp an einem der Einkaufszentren am Stadtrand, von denen es in Delmenhorst überdurchschnittlich viele gibt.

Sarah Connor übrigens ist erst kürzlich von Delmenhorst ins nahe Wildeshausen verzogen.

Sollte sich Jürgen Rieger das „Hotel am Stadtpark“ tatsächlich unter den Nagel reißen, es wäre ein schlechter Tausch für die Stadt.