Bremer in den Kopf geschossen

Israelische Polizisten haben einem Bremer bei einer Demonstration gegen den Bau von Sperrzäunen ein Hartgummi-Gummigeschoss in den Kopf geschossen. Er überlebte schwer verletzt

Lymor Goldstein wurde als Kind jüdischer Eltern in Bremen geboren, machte sein Abitur am Ökumenischen Gymnasium Oberneuland. Am vergangenen Freitag wurde ihm bei einer Demonstration im Westjordanland von israelischen Grenzpolizisten mit Gummimunition in den Kopf geschossen.

Der 27-jährige Rechtsanwalt hatte mit rund 300 weiteren Personen gegen den Bau des Grenzzauns in den palästinensischen Autonomiegebieten demonstriert. Bei der Kundgebung im zwischen Jerusalem und Tel Aviv gelegenen palästinensischen Dorf Bil‘in eskalierte die Situation, als sich die Demonstranten bis auf 50 Meter einem Grenzposten näherten, der die Sperranlagen bewachte. Nachdem die Polizei die Demonstranten per Megafon aufforderte, sich zurückzuziehen, ging sie mit Knüppeln und – aus Sturmgewehren abgefeuerter – Gummimunition gegen die Protestierenden vor. Im Internet ist eine Videoaufnahme der Szene veröffentlicht. Darauf wird deutlich, dass die Demonstranten unbewaffnet waren und keine Gewalt ausgeübt hatten. Bei der Auseinandersetzung wurden insgesamt elf Protestierende verletzt, davon zwei schwer. Außer Goldstein handelt es sich um eine Dänin, die ebenfalls schwere Schädelverletzungen davontrug.

Noch am selben Tag wurde Goldstein in der Tel Aviver Klinik Tel Haschomer einer zweistündigen Notoperation unterzogen. Hierbei wurden Teile des Gehirns und Schädelsplitter entfernt. Nach Angaben israelischer Friedensaktivisten schreite Goldsteins Genesung schneller als erwartet voran. Am Donnerstag konnte er bereits wieder stehen und sprechen. Allerdings gehen die behandelnden Ärzte davon aus, dass er irreparable Einschränkungen des Sehvermögens und der motorischen Fähigkeiten davontragen wird.

Goldstein zog nach seinem Abitur im Jahr 1997 zum Jurastudium nach Berlin, später siedelte er nach Israel über. Seine Familie lebt noch heute in Bremen. Seit zwei Jahren arbeitet Goldstein als Rechtsanwalt in Tel Aviv. Er beteiligte sich mehrfach an gewaltfreien Protestaktionen gegen die israelischen Sperranlagen in den besetzten Gebieten.

Die Mauer, deren Fertigstellung für Ende 2006 geplant ist, soll das Eindringen von Attentätern nach Israel erschweren. Ursache für die Proteste sind tiefe Eingriffe in die zivile Infrastruktur des Westjordanlandes durch den teilweise vom Grenzverlauf abweichenden Mauerbau. „Die Mauer trennt Bil‘in von Ackerflächen, deren Bewirtschaftung die Lebensgrundlage der Dorfbevölkerung darstellt“, sagt Neta Golan, Sprecherin der israelisch-palästinensischen Friedensorganisation „International Solidarity Movement“ in Ramallah. „Dabei befinden sich die Äcker auf palästinensischem Territorium.“

Die Bevölkerung des 1.800-Einwohner Dorfes Bil‘in hat nach Bekanntwerden der Mauer-Pläne das „People Committee against the Wall“ gegründet. „Wir haben insgesamt vier Klagen vor dem obersten israelischen Gericht gegen den Mauerbau eingereicht. Die Mauer ist schlicht und ergreifend illegal“, sagt Mohammed Khatib, Sprecher der Dorfbewohner. Seit 18 Monaten demonstrieren sie jede Woche mit israelischen und ausländischen Aktivisten gegen die Mauer. Dies soll trotz der jüngsten Vorfälle am heutigen Freitag fortgesetzt werden, die Organisatoren rechnen erneut mit 300 Teilnehmern. In der Vergangenheit waren in Bil‘in immer wieder Demonstranten durch Grenzpolizisten schwer verletzt worden, zuletzt im Mai drei Ausländer.

Christian Jakob