„Killen ist schlecht für das Geschäft“

GRENZE El Paso ist eine der sichersten Städte der USA, ganz im Gegenteil zu ihrer mexikanischen Schwester Ciudad Juárez. Die Drogenkartelle haben kein Interesse daran, dass der Krieg in die USA kommt

■  Die Grenze: Die Grenze zwischen den USA und Mexiko ist 3.144 Kilometer lang. Der „Secure Fence Act“ von 2006 sieht eine Verlängerung des Grenzzauns auf 1.125 Kilometer vor. Zwischen 250 und 500 Menschen sterben nach offiziellen US-Angaben jährlich bei dem Versuch, die Grenze zu überwinden.

■  Grenzkontrolle: Die USA werden ab heute die gesamte Grenze zu Mexiko mit unbemannten Drohnen überwachen. Heimatschutzministerin Janet Napolitano teilte mit, man werde im Kampf gegen Drogenschmuggel und illegale Einwanderung eine dritte Aufklärungsdrohne des Typs „Predator“ einsetzen. (taz, afp)

AUS EL PASO DOROTHEA HAHN

Eine schwarz durchgekreuzte Pistole weist den Weg zur Grenze. Darunter prangt der Landesname: „Mexiko“. Die Straßenschilder säumen den Highway Nummer zehn. Wer von der texanischen Stadt El Paso über die Brücke ins mexikanische Ciudad Juárez will, soll seine Pistole abschnallen und in den USA zurücklassen. Im Nachbarland ist das Waffentragen verboten.

Die Menschen im texanischen El Paso führen ein beschauliches Leben. Ihre Stadt boomt. Auch mitten in der Krise. Dank der grenzüberschreitenden Geschäftsmöglichkeiten – Verwaltung und Vertrieb in den USA, industrielle Produktionsstätten im mexikanischen Ciudad Juárez – sind in den letzten Jahren zunehmend internationale Konzerne nach El Paso gekommen. Darunter auch deutsche, japanische und US-amerikanische. Neuerdings gibt es mehr mexikanische Investoren, die Betriebe und Restaurants in El Paso eröffnen: Sie fliehen vor den Entführungen und Erpressungen zu Hause.

Hartnäckige Ermittler

In El Paso kennt jeder den Namen des Sheriffs. Frauen finden nichts dabei, allein zum Wandern in die Wüste zu gehen. Und nachts ist es nicht nötig, das eigene Vehikel abzuschließen: Der Autodiebstahl ist gerade wieder um elf Prozent zurückgegangen. Auch die Zahl der Gewaltverbrechen sinkt weiter. In den ersten siebeneinhalb Monaten des Jahres 2010 sind nur drei Menschen ermordet worden. El Paso ist die zweitsicherste Stadt der USA.

Gegenüber, auf der anderen Seite des um diese Jahreszeit fast wasserlosen Grenzflusses Río Bravo, liegt die Mörderhauptstadt des amerikanischen Kontinents. Jeder hat Angst. Ciudad Juárez liegt auf der wichtigsten Zulieferroute für illegale Drogen in die USA – dem größten Drogenmarkt der Welt. In den ersten siebeneinhalb Monaten dieses Jahres sind dort mehr Menschen denn je ermordet worden: 1.875. Ihre erschossenen, oft misshandelten und manchmal geköpften Körper liegen am helllichten Tag auf offener Straße. Oder unter einer der Brücken, die über den ausgetrockneten Fluss nach Texas führen. Manche Leichen sind mit schriftlichen Botschaften versehen, in denen die Mörder ihr Verbrechen erklären: als Abrechnung mit einem feindlichen Drogenkartell. Oder wegen eines „Verrats“. Andere Gewalttaten in Ciudad Juárez – Vergewaltigungen, Raubüberfälle, Erpressungen und Entführungen –, die nicht mit Tod enden –, gelangen nicht einmal in die Kriminalstatistiken. Aus Sorge, dass ihnen auf der Polizeiwache uniformierte Komplizen der Täter gegenüberstehen, erstatten die Opfer keine Anzeige.

Dass die Gewalt aus Mexiko nicht in die USA herüberschwappt – obwohl die Drogen in die USA und die Waffen nach Mexiko gelangen, erklärt Sheriff Paul Cross so: „Killen ist schlecht für das Geschäft.“ Die Drogenkartelle hätten kein Interesse daran, ihre tödlichen Kämpfe auf US-Territorium auszutragen, sagt er. Denn sie wüssten, „dass wir Verbrechen so lange verfolgen, bis wir die Verantwortlichen kriegen“. Diese Hartnäckigkeit der US-Ermittler gelte auch dann, wenn die Opfer Kriminelle sind.

Insgesamt 26 US-Behörden wachen in El Paso über die Sicherheit. Neben mehr als 3.700 Personen starken Kontingenten der US Border Patrol (Grenzschutz), neben Zoll, Drogenfahndung, Einwanderungskontrolle, FBI und mehreren Geheimdiensten sind in El Paso auch die Dienststellen von Polizei und Sheriff besonders groß und gut ausgerüstet. Sheriffs in El Paso tragen halbautomatische Gewehre. Und der Ort verfügt über drei Gefängnisse. Ein weiterer Abschreckungsfaktor sind die Militärstützpunkte. Rund um El Paso befinden sich drei der größten der Welt: Fort Bliss, Alamogordo und White Sand. Auf ihrem Wüstengelände übt auch die deutsche Luftwaffe.

In der nicht einmal zwei Jahrhunderte zurückliegenden Kolonialzeit waren beide Städte ein einziger kleiner Ort. Er trug den Namen Paso del Río del Norte – Übergang am Nordfluss. Unabhängigkeitskriege und Bürgerkriege haben ihn gespalten. Die beiden Hälften wurden zu Außenposten von zwei Nachbarländern, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Seit den Attentaten vom 11. September 2001 gehört die Grenze zu den bestgerüsteten der Welt.

Bei den Border Patrols, die in El Paso Dienst tun, erklärt Offizierin Valeria Morales: „Wir wachen über die nationale Sicherheit.“ Ihr Kollege Joe Perez sagt: „Wir sind hier zur Abschreckung.“ In diesem Sommer sprechen die US-Behörden erstmals von „terroristischen Taktiken“ in Mexiko. Das ist ein neuer sprachlicher Umgang mit den Drogenkartellen, den die mexikanischen Behörden weit von sich weisen. Sie können damit argumentieren, dass es nie einen Hinweis auf Attentate der Drogenkartelle in den USA gegeben hat. Und auch an der Grenze in El Paso ist nie dergleichen ruchbar geworden. In diesem Jahr haben die Grenzschützer im Abschnitt von El Paso mehr als 11.200 Menschen, die illegal über die Grenze kommen wollten, gefangen genommen. Hinzu kommen hunderte Pfund von Marihuana, die sie beschlagnahmt haben.

Uniformierte Komplizen

Michael Aman ist Detektiv in der Mordkommission von El Paso. Der 49-jährige gebürtige Bayer hat seine berufliche Karriere in der deutschen Luftwaffe begonnen und ist in Texas geblieben. Wenn er in seinem kleinen Büro im Hauptquartier der Polizei von El Paso die Sicherheit der 750.000-Einwohner-Stadt erklärt, spielen auch Dinge eine Rolle, auf die die US-Behörden keinen Einfluss haben. „Die Nachbarschaft mit Ciudad Juárez hilft uns“, erklärt der Polizist. Sexualverbrecher aus El Paso können „nach drüben“ gehen. Sie wissen, dass in Mexiko fast kein Verbrechen verfolgt wird. Dieselbe Logik gilt für die Drogenkartelle. Schon mehrfach haben sie in El Paso zugeschlagen. Doch nachweislich einen der ihren in El Paso ermordet haben sie nur ein Mal. Das war im vergangenen Jahr, als sie einen Kumpanen erschossen, der in El Paso lebte und zugleich als Informant für US-Behörden arbeitete. In einem anderen Fall im selben Jahr organisierte ein mexikanisches Drogenkartell die Entführung eines Komplizen aus El Paso. Seine misshandelte Leiche wurde wenig später auf der anderen Seite der Grenze in Ciudad Juárez gefunden. Detektiv Aman geht davon aus, dass es weitere, nie bekannt gewordene Entführungen von Kartellmitgliedern aus El Paso nach Ciudad Juárez gibt. „Wer sollte sie schon anzeigen?“, fragt er.

„Die Nachbarschaft zu Ciudad Juárez hilft uns. Verbrecher gehen nach drüben“

DETECTIVE MICHAEL AMAN

In diesem Sommer hat der Detektiv die Ermittlungen über die tödlichen Schüsse auf einen jugendlichen Schlepper in El Paso geleitet. Der junge Mann, der direkt eben dem ausgetrockneten Fluss starb, ist in Mexiko umgehend zu einem nationalen Helden geworden. In seinen Bericht an die US-Behörden hat Aman beschreiben, dass der junge Mann und seine Komplizen einen US-Beamten, der allein im Einsatz war, mit Steinen beworfen haben. Und dass uniformierte Mexikaner vom anderen Flussufer – Soldaten und Polizisten – auf die US-Seite gekommen seien, um „Indizien zu beseitigen“. Als Aman vor Ort ermittelte, richteten dieselben Uniformierten ihre Waffen auf den US-Detektiv. „Für mich ist es keine Frage, dass in ihren Reihen Komplizen sind, wenn nicht sogar der Auftraggeber der Schlepper ist“, sagt Aman.

Zweieinhalb Millionen Menschen leben in der grenzüberschreitenden Metropole. Davon knapp 800.000 auf der US-amerikanischen Seite. Wenn sie Ausweispapiere haben, können sie weiterhin auf die andere Seite der Grenze gehen. Nach Ciudad Juárez, wo Generationen von jungen US-Amerikanern drei Jahre vor dem Erreichen des gesetzlichen Mindestalters für Alkoholkonsum in den USA (21 Jahre) ihre ersten Biere getrunken und ihre ersten Erlebnisse im Nachtleben gesammelt haben. Es gab grenzüberschreitende Freundschaften, Liebesbeziehungen und Verwandtschaften. Die große Mehrheit der Bevölkerung von El Paso hat mexikanische Wurzeln. Und in Ciudad Juárez wiederum sind englische Familiennamen keine Seltenheit.

Doch seit den Attentaten von 2001, und erst recht seit der Kriegserklärung des mexikanischen Präsidenten an die Drogenkartelle im Dezember 2006, geht kaum noch jemand spaßeshalber über die Grenze. Die US-Bürger hält die Angst zurück. Ihre Behörden warnen sie offiziell vor Mexikoreisen. Und bei vielen uniformierten Institutionen gilt ein Reiseverbot. In umgekehrter Richtung fehlen den meisten Menschen aus Ciudad Juárez die nötigen Papiere, um legal über die Brücke zu gelangen. In Ciudad Juárez arbeiten 190.000 Menschen in den „Maquiladoras“ – den Fabriken, die Autoteile und andere Stücke für in El Paso ansässige internationale Konzerne zusammensetzen. Die meisten von ihnen können Mexiko nicht verlassen. Sie können die andere Hälfte ihrer Stadt sehen und hören und riechen.

Die US-Behörden unterstützen den mexikanischen Krieg gegen die Drogen. Und fordern das Nachbarland auf, immer härter im Drogenkampf vorzugehen. Auf der mexikanischen Seite wünschen die Menschen nur, dass der Drogenkrieg zu Ende geht. Sie sehen keinen Erfolg, sondern immer mehr Gewalt und immer neue Tote. Den Bürgermeister von Ciudad Juárez, José Reyes Ferriz, den die USA feiern, haben sie gerade abgewählt. Sein Nachfolger ab Oktober wird einer, der schon mal Bürgermeister war. Sein damaliger Polizeichef sitzt wegen Drogenhandels in einem US-Gefängnis.

Hugo Staines, Chirurg an der Universidad Autónoma de Ciudad Juárez, hat „mindestens einmal die Woche“ Kinder mit Schussverletzungen auf seinem OP-Tisch. Der Arzt sagt: „Mexiko erledigt seine Arbeit im Krieg gegen die Drogen.“ Wie viele Mexikaner vermisst er denselben energischen Kampf im Inneren der USA. Doktor Staines hat vor allem Fragen: „Wo sind die Namen der Banken, die von Drogengeldern leben?“ Und: „Warum verkaufen die USA legal Waffen, mit denen das organisierte Verbrechen in Mexiko mordet?“ Und: „Warum hören wir nie Namen von angelsächsischen Kartellen, die das Drogengeschäft im Inneren der USA abwickeln?“