Die Fluchtwege sind verstellt

Olympiastadion: Der lange geforderte Geschichtspfad über das Nazi-Gelände von 1936 ist fertig. Er informiert über die Historie des Reichssportfeldes. 45 Tafeln dokumentieren und kommentieren dessen NS-Vergangenheit – und den Umgang mit ihr

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Tiefe Spuren hat die Fußballweltmeisterschaft auf dem Olympiagelände hinterlassen. Rund um die WM-Arena erinnern breit gefräste Furchen im Rasen an das Massenevent. Das Maifeld, auf dem die Medien- und VIP-Zelte kampierten, gleicht einem Acker. Und manch steinerne Bodenplatte steht quer. Das alles wird zurzeit behoben. Handwerker und Rollrasen sind bereits vor Ort.

Die – wenn man so will – größte Wunde auf dem Gelände, nämlich das Nazi-Stadion auf dem einstigen „Reichssportfeld“, die monumentalen Skulpturen und das Aufmarschgelände auf dem Maifeld von 1936, kann dagegen nicht mehr „verheilen“. Mit dem gestern eröffneten „Geschichtspfad zur Historischen Kommentierung des Olympiageländes“ sollen die Geschichte und die Bedeutung des Areals für die Zwecke der Nationalsozialisten für immer präsent, erlebbar und dokumentiert bleiben, wie Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) und Sportsenator Klaus Böger (SPD) bei einem Rundgang sagten. Die baulichen Hinterlassenschaften auf dem ehemaligen Reichssportgelände von Architekt Werner March mit dem Olympiastadion im Mittelpunkt böten „eine einmalige Chance, geschichtliche Prozesse zu verstehen“, so Böger.

Erklärt werden diese „Prozesse“ auf 45 großformatigen Text- und Bildtafeln, die vom Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e. V. und einem wissenschaftlichen Beirat im Auftrag der beiden Senatsverwaltungen konzipiert wurden. Der Pfad erstreckt sich vom östlichen Olympiator über das Stadion, das Maifeld sowie in die Langemarckhalle am Glockenturm bis hinüber zum Haus des Deutschen Sports und der Waldbühne.

Erklärt wird darüber hinaus das sportlich-kriegerische Skulpturenprogramm der Nazi-Bildhauer Josef Wackerle, Josef Thorak oder Arno Breker, die rund um die Arena ihre gigantischen zwei „Rosseführer“, den „Staffelläufer“, „Faust- und Zehnkämpfer“ platzierten.

Klaus Böger erinnerte daran, dass die ersten Tafeln des 300.000 Euro teuren Projekts bereits im Sommer 2005 aufgestellt wurden. Zur WM 2006 wurde der Pfad fertig, dank hilfreicher Mittel der DFB-Kulturstiftung, des Hauptstadtkulturfonds und der Klassenlotterie.

Dass 70 Jahre seit den Olympischen Spielen von 1936 vergehen mussten, um die Nazi-Architektur, ihren herrischen Stil und deren propagandistische Aufwertung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben, machte dagegen Flierl nachdenklich. Zu Recht fragte er, warum während der Zeit der britischen Besatzung des Olympiageländes bis 1990 dort keine Dokumentation stattfand. Und mehr noch: Auch Anregungen von Denkmal-Initiativen in den 90er-Jahren wurden ignoriert. Erst ab dem Jahr 2000 und im Sog der WM 2006 nahm die Historische Kommentierung gleichsam Fahrt auf.

Ab Anfang September ist der Pfad öffentlich: Dann können die Besucher für einen Euro zudem den Olympiapark besichtigen. Darüber hinaus soll es Führungen zur Geschichte des „Reichssportfeldes“ geben.

Dass auf dem Olympiagelände aber noch längst nicht alles seinen Platz hat, bemängelte Böger. Am Rande des Rundgangs wies er darauf hin, dass für die Sanierung des Olympiabades erst jetzt konkrete Überlegungen des Landes angestellt werden. Außerdem sei offen, welche Funktionen einmal die riesige Fläche des Maifeldes und seine Tribünen erhalten sollen. Beide bröckeln.