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: Nie mehr Bekenntnisprobleme

Gruner+Jahrs neueste Innovation: dieselbe Zeitschrift mit zwei unterschiedlichen Titeln verkaufen.

Hätten Sie eigentlich auch ganz gern das Leben von Boris Beckers Tochter Anna über die Jahre begleitet, haben aber den Erwerb der entsprechenden Fachpresse stets vermieden, damit niemand denkt, Ihre Oma sei zu Besuch? Jetzt werden Sie geholfen. Zumindest in Hessen und Baden-Württemberg ist seit gestern die neue Look erhältlich.

Der Titel und das Titelblatt, auf dem ein rares Foto von Claudia Schiffer und ihren Kindern zu sehen ist, spielen in der Anmutungs-Liga von View, InTouch und Gala. Und doch handelt es sich um die Frau im Spiegel, auf der Anna und ihre Mutter lächeln. Wer allein bei dem betagten Titel ein „Bekenntnisproblem“ (Gruner + Jahr-Verlagsgeschäftsführer Wilhelm Jacob) hat, kann zur Look greifen. Der Inhalt ist auf 75 von 84 Seiten identisch. Bloß da, wo die FiS Rätsel bringt und Carmen Nebel kolumnieren lässt, hat die Look mehr Home- und Partystorys. Hier neigt Chefredakteurin Karin Schlautmann im Editorial den Kopf lächelnd nach rechts und zeigt etwas mehr Haar, dort neigt sie ihn nach links und zeigt etwas mehr Falten. Sie schreibt auch anderes, mehr Unterschiede gibt’s aber nicht.

Teil von G+Js „Innovationsoffensive“ (deren Image sich auch kaum mehr retten lässt) ist das ausdrücklich nicht, bloß ein zunächst sechswöchiges Experiment der Markenrenovierung. Bei Misserfolg drohe der FiS keine Einstellung, sagte Jacob ungefragt. Beim Inhaltemix werde es schon keine Probleme geben, so die Chefredakteurin: Die FiS, von 58,3-jährigen Durchschnittsleserinnen geschätzt, sei auch für Enddreißigerinnen gestaltet.

Im Verlag, dessen publizistische Idee „Expand Your Brand“ lautet, lässt sich das Experiment als Eingeständnis lesen, dass die überall und immerzu beschworenen „starken Marken“ nicht immer nur nützen. Manche Leser könnten manche Inhalte weniger übel finden als die Marke, unter der sie verkauft werden. Im Erfolgsfall wär die Idee ausbaufähig. Vielleicht wird bald auch denen geholfen, die sicher einige Stern-Storys lesen, sich mit der Illustrierten aber niemals in die U-Bahn setzen würden. CBR