DIE ACHSE DES MIX VON TOBIAS RAPP

Der Sommer der Euphorie

Hier hat man was zu sagen! Wunderbare Euphorie der Hochphase! Gerade einmal ein halbes Jahr ist es her, dass das Londoner Dubstep-Label Tempa seine letzte Mix-Compilation herausgebracht hat. Doch Dubstep, jene jüngste Londoner Clubmusik, diese basslastige Rave-Dancehall-Garage-Fusion, erlebt gerade jenen Sommer des so glücklichen wie ungezügelten Wachstums (auf den gewöhnlicherweise der Herbst düster werdender Sounds und klaustrophobischer Räume folgt und die nächste Intensivierungsphase im Drogenzyklus – aber man soll den Teufel ja nicht an die Wand malen).

Tatsächlich ist es sogar eine Doppel-CD, die die beiden DJs Youngsta und Hatcha bespielen, 44 Stücke alles in allem. Während sich Youngsta der Genre-Übersicht eher vom technoiden Ende aus annähert, von Stücken wie Loefahs „Ruffage“, das sich anhört wie eine endlose Variation auf die Ästhetik der frühen Warp-Acts, rau, analog und klonkig, ist Hatcha mit Stücken wie Kromestars „Iron Dread“ dagegen näher am Reggae-Wärmepol. Von den Drum-’n’-Bass-Wurzeln, die dieser Musik bisher noch immer so deutlich eingeschrieben waren, ist nichts mehr übrig als der Fokus auf die majestätischen Basslines. Um sie herum ist diese Musik arrangiert, alles andere ist Beiwerk. Was auch ein Problem dieser ansonsten großartigen zwei Mixe sein kann: Weder zu Hause noch auf dem Kopfhörer vermögen diese CDs jenen körperlich spürbaren Druck zu entwickeln, den die Bassfrequenzwellen einem in die Eingeweide drücken.

„Dubstep Allstars Vol. 4“ (Tempa/ Rough Trade)

Sanft geklöppeltes Urvertrauen

Oft ist von ihr die Rede, und doch lässt sich Deepness nur schwer beschreiben. Sind es einige Schlüsselsounds wie etwa der eines Fender Rhodes Piano? Ist es eine bestimmte Art, den Beat nach Chicagoer Früh- oder New Yorker Mittneunziger Art zu schneiden? Sind es bestimmte Vocals, die in einer gospelgeprägten Discotradition Erlösung einfordern? Egal welche Zeichen man aufruft – es fällt schwer, sie mit dem Minimal House deutscher Bauart zusammenzudenken, der seine Kraft ja gerade aus der Abwesenheit dieser starken Momente bezieht.

Umso erstaunlicher, wie die Berliner Produzentin und DJ Cassy Britton in ihrem Mix „Panorama Bar 01“ ebensolche Minimal-Tracks mit deepen Produktionen zu verbinden weiß. Cassy Britton ist einer der Resident-DJs der Panorama Bar in Berlin, eines Clubs, dessen Partys sich bis lange in den Sonntagnachmittag hineinziehen. Genau diese After-Hours-Sensibilität dürfte es wohl auch sein, die Cassys wunderbaren Mix in jene ganz eigene Fusion führt. Korrespondieren doch gerade die Zustände fortgeschrittener Verpeiltheit mit dem Geklicker und Geklacker des Minimal House, seinen breitgestreuten Polyrhythmen – wie in der filigranen Klöppelarbeit von Mathias Kadens „Pentaton“. Gleichzeitig möchte man sich eingewickelt wissen in die warme Zutraulichkeit von Stücken wie „Believe“ von Dwayne Jensen oder „Night Station“ von Rick Wade, die jenes Urvertrauen in die selbstgebaute Gegenwelt transportieren, das die House Nation seit je zusammenhält.

Cassy: „Panorama Bar 01“ (Ostgut Ton/ Kompakt)

Großes Hände-in-die-Luft-Material

Jeder Mix hat seinen Ort. Die „Dubstep Allstars“ kann man sich besten Samstagabend in einer heruntergekommenen und mit Bassboxen vollgepackten Londoner Lagerhalle vorstellen. Den „Panorama Bar 01“-Mix natürlich dortselbst – an einem verstrahlten Sonntagmorgen gegen 11 Uhr. Der „Body Language“-Mix von DJ T, alias Thomas Koch, Begründer und ehemaliger Herausgeber des Magazins Groove und nun Mitbetreiber des Berliner Labels Get Physical, dürfte seinen Ort in einem Strandklub in Ibiza haben, Samstagnacht, zur Peak Time.

Wo Cassy elegant einen Track in den nächsten fädelt, verschiedene Genres streift und einen feinen narrativen Bogen spannt, verlässt sich Koch auf den Hitcharakter seiner Tracks. Das ist ganz großes Hände-in-die-Luft-Material, was seine Kraft nicht nur aus seiner maximalistischen Ästhetik bezieht, den Melodien und Hooklines, vor denen es kein Entkommen gibt: fast jeder Track, den Koch hier auffährt, hat auch noch seine eigene Geschichtsspur, die zusätzlich Alarm gibt: die Disco-Streicher hier, die Kuhglocke da, die Rave-Fanfare hier, die Spätachtziger-Synthesizerbreitseite da, dann noch eine Italo-House-Melodie und eine Fläche, die an alte Detroitstücke erinnert.

Ja, auch Koch verbindet Stücke verschiedenster Genres. Doch sein Ziel ist dem ideellen Ort seines Mixes angepasst – hier werden die verschiedensten Euphorie-Orte angetriggert, die in ihren verschiedenen Stücken unterschiedliche Wellenformen von zwanzig Jahre Feierfreude durchbuchstabiert.

DJ T.: „Body Language Vol. 2“ (Get Physical Records/Intergroove)