PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Winke, winke!

Kann es etwas Schöneres geben als ein eigenes Ferienhaus in der Toskana? Ja: Wenn die Gäste wieder abreisen

Man überlegt sich ja nicht immer alles im Voraus. Täte man es, man täte vieles nicht. Ein Ferienhaus kaufen zum Beispiel, jedenfalls nicht in der Toskana. In Vorochta, ja dort in den Nordkarpaten, vielleicht. Dort käme nie jemand zu Besuch. Oder in der Eifel. Aber ein Ferienhaus in der Toskana – sollte man eines besitzen, sollte man es besser verschweigen. Sonst wird man unglücklich.

Das weiß ich heute, früher wusste ich das nicht. Im Lauf der vergangenen Jahre zog sich ganz allmählich ein unsichtbarer Graben durch meinen Freundeskreis: diejenigen, die in das Ferienhaus eingeladen wurden, und eben die anderen. Wobei die Auswahl nicht einmal nach Sympathiewerten stattfand, sondern ganz schlicht nach handwerklicher Qualifikation. Wer beispielsweise Fliesen verlegen konnte, Dichtungen reparieren oder wenigstens einen Hammer von einer Maurerkelle unterscheiden, hatte weitaus größere Chancen, in den vergangenen Jahren einmal gefragt zu werden: Wollt ihr nicht mal zu Besuch kommen?

Freunde mit zwei linken Händen fühlten sich mit der Zeit gekränkt und gingen auf Distanz. Ich wurde seltener zu Geburtstagsfeiern eingeladen. Die Einsamkeit wuchs. Jedenfalls dort, wo man die meiste Zeit des Lebens verbringt: zuhause.

Im Ferienhaus dagegen fing ich bald schon an, einen Plan zu führen: „Vom 16. Mai bis 22. Mai Frieder mit Familie (drei Kinder)“, „23. Mai bis 6. Juni: Tante Elli, Onkel Rainer und Thomas“. Ich wollte schließlich nicht völlig vereinsamen und im Freundes- und Verwandtenkreis als arrogant gelten. Also antwortete ich auf die immer häufigeren Anfragen: „Ja, natürlich könnt ihr kommen, ich freue mich.“

Aus dem Kuhstall baute ich ein zusätzliches Schlafzimmer, und in den Raum, wo früher die Gartenwerkzeuge lagerten, passten auch noch zwei Betten. Doch je mehr ich die Kapazitäten erhöhte, desto größer wurde der Belegungsdruck. Inzwischen ist das Ferienhaus auf ein Jahr ausgebucht und ich muss meine Gäste fragen, ob es sie stört, wenn ich auch noch komme. Manche sagen es mir ganz offen: Nie würden sie sich ein Haus oder eine Wohnung irgendwo in einer schönen Gegend kaufen, es sei viel angenehmer, in einem Ferienhaus bei Freunden Urlaub zu machen.

Um nicht als unfreundlicher Gastgeber angesehen zu werden, kochte ich bei der Anreise meiner Gäste ein schönes Abendessen. Während sie am Morgen noch schliefen, stand ich schon auf und bereitete das Frühstück vor. Tagsüber reparierte ich die Lampen, die ihnen vom Nachttisch gefallen waren, oder kaufte neue Gläser, die wie von Geisterhand ständig verschwanden. Es waren wunderschöne Tage, fanden meine Gäste, als sie wieder abreisten und die nächsten schon auf der Anfahrt waren. Ich stand lange noch am Parkplatz und winkte, wahrscheinlich um sicherzugehen, dass sie auch wirklich wegfuhren.

Es machte mich jedenfalls stutzig, warum keiner der vielen Gäste sich im Lauf der vielen Jahre in der Nähe nach einem eigenen Haus umschaute. Es gibt schließlich noch welche. Nicht einmal besonders teure. Jederzeit würde ich auch meinen Betonmischer kostenlos zur Verfügung stellen. Vermutlich wirkte mein Beispiel abschreckend. Ich muss ihnen wie ein Idiot vorkommen, nur sagen sie mir das natürlich nicht.

Nur in der kalten Jahreszeit, wenn niemand in ein schlecht beheiztes Ferienhaus in der Toskana reisen möchte, bin ich alleine dort. Dann repariere ich die Löcher im Dach, säe den niedergetrampelten Rasen neu ein und überlege, in welchem Nebenraum noch ein weiteres Bett unterzubringen wäre. Manchmal sitze ich dann da, frierend, erschöpft von den Reparaturarbeiten, der Regen tropft durchs Dach und ich denke, wie schön es hier im Sommer sein könnte.

Boris Becker, habe ich gelesen, soll seine Finca auf Mallorca jetzt wieder verkauft haben. Ich glaube, ich weiß, warum.

Fragen zu Gästen? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS