Londoner Terrorchaos zieht Kreise

Die Spuren der geplanten Terroranschläge auf transatlantische Flüge weisen Richtung al-Qaida, die Folgen der neuen Sicherheitsmaßnahmen auf britischen Flughäfen beschäftigen ganz Europa. Der Flugverkehr soll sich aber normalisieren

Hat der britische Vizepremier Prescott George Bush als Scheiße bezeichnet?

von RALF SOTSCHECK

Abu Faraj al-Libbi, al-Qaidas dritter Mann nach Ussama Bin Laden und al-Zawahiri, soll die nicht stattgefundenen Londoner Flugzeugattentate von langer Hand geplant haben. Das gaben die pakistanischen Sicherheitskräfte jetzt bekannt. Al-Libbi war im vergangenen Jahr an die USA ausgeliefert worden. Die britische Polizei hatte in der Nacht zum Donnerstag voriger Woche 24 muslimische Briten verhaftet, von denen einer wieder freigelassen wurde. Sie hatten angeblich vorgehabt, fünf bis zwölf Flugzeuge auf dem Weg in die USA zu sprengen.

Seitdem herrscht im britischen Flugverkehr Chaos. Auch gestern mussten noch zahlreiche Flüge ausfallen, vor allem in London-Heathrow. Ein Sprecher des größten europäischen Flughafens versprach aber, dass heute zum ersten Mal sämtliche Flüge starten würden. British Airways hofft, noch vor dem Wochenende rund 5.000 Gepäckstücke, die vorübergehend verschwunden waren, ihren Eigentümern zustellen zu können.

Die Anspannung ist so groß, dass vorgestern ein Flug von London nach Washington in Boston landen musste, weil ein Passagier einen klaustrophobischen Anfall erlitten hatte. Zuerst hieß es, er sei mit Schraubenzieher, Streichhölzern und Vaseline bewaffnet gewesen und habe einen Zettel in arabischer Sprache mit Hinweis auf al-Qaida bei sich gehabt. Am Vortag hatte ein zwölfjähriger Ausreißer aus einem Kinderheim Schlagzeilen gemacht, weil es ihm gelungen war, trotz der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen ohne Pass und Flugticket eine Maschine in London-Gatwick nach Portugal zu besteigen. Nur weil er keine Bordkarte hatte, fiel er dem Kabinenpersonal auf.

Die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen auf britischen Flughäfen, die unter anderem das Handgepäck auf ein Minimum beschränken, sollen europaweit ausgedehnt werden, beschloss eine EU-Innenministerkonferenz am Mittwoch in London. Außerdem will man „positive Passagierprofile“ erstellen: Als harmlos eingestufte Vielflieger könnten dann schneller abgefertigt werden als Passagiere aus „verdächtigen Ländern“, die gründliche Durchsuchungen über sich ergehen lassen müssen. Muslimische Reisende sollen grundsätzlich in die zweite Kategorie gehören, wenn es nach Frankreich und in die Niederlande geht. Darüber hinaus will die EU herausfinden, wie man Flüssigsprengstoff im Fluggepäck aufspüren kann. Internetseiten, die Hass predigen und Anleitungen zum Bombenbasteln verbreiten, sollen geschlossen werden. Die EU-Sicherheitsdienste wollen die Maßnahmen auf einem „Anti-Terror-Gipfel“ Ende des Monats konkretisieren.

Auch acht Tage nach den Razzien in England ist noch vieles über die angeblich geplanten Anschläge unklar. Anfang des Monats hatten pakistanische Sicherheitskräfte sieben Männer festgenommen, darunter Rashid Rauf, dessen Bruder vorige Woche in Birmingham verhaftet wurde. Die Brüder wurden in Medienberichten als Anführer der Attentäter bezeichnet. Angeblich wollten die britischen Sicherheitskräfte einen Probelauf der mutmaßlichen Terroristen abwarten, um ihr gesamtes Netzwerk ausheben zu können. Warum ist Rauf dann aber in Pakistan verhaftet worden? Seine Festnahme löste offenbar die Aktion in England aus, weil man befürchtete, dass die Attentäter nun früher als geplant zuschlagen könnten. Entgegen ersten Berichten standen die Anschläge aber keineswegs unmittelbar bevor. Von der bei den Razzien angeblich gefundenen Videoaufnahme, auf der einer der mutmaßlichen Attentäter von einem Märtyrertod spricht, ist keine Rede mehr. Unklar ist, welche Art von flüssigem Sprengstoff die Männer benutzen wollten und ob es Verbindungen zu den Londoner Selbstmordattentätern vom Juli vergangenen Jahres gab. Keiner der festgenommenen Männer ist bisher angeklagt worden. Einige werden wohl demnächst wieder freigelassen, sagte Tony Blairs Stellvertreter John Prescott in einem Gespräch mit sechs Hinterbänklern, darunter die vier muslimischen Unterhausabgeordneten. Dabei habe Prescott George Bush als „Scheiße“ bezeichnet, sagte einer der Abgeordneten. Prescott dementierte, aber diese Meinung sei unter den Labour-Abgeordneten und selbst im Kabinett weit verbreitet, meint Will Woodward, der Politikchef des Guardian.