Der Selbstbewusste

An der Frage, ob sein Fehlschuss absehbar war, kann man sich lange aufreiben. Eintracht Braunschweig hatte im vielleicht wichtigsten Spiel der Saison mit 1:0 beim 1. FC Nürnberg geführt. Der Gegner war durch einen Platzverweis bereits dezimiert, der Sieg in Reichweite. Dass Domi Kumbela mit einem verschossenen Elfmeter das mögliche 2:0 und damit eine große Chance vergab, gehört zu jenen Momenten des Fußballs, die richtig wehtun.

Eben noch der Held, dann der Depp: In Braunschweig wird die Sache trotz der bitteren 1:2-Niederlage in Nürnberg feiner betrachtet. Kumbela hat sich bei der Eintracht schon so viele Verdienste erworben, dass er wohl bis zum Saisonende noch ein Dutzend Elfmeter verschießen dürfte. In der Vorwoche hatte Kumbela den HSV mit drei Toren nahezu im Alleingang abgeschossen. Nun war er gleich wieder auf dem Weg zum Mann des Tages. „Der Domme“ oder „der Kumba“, wie ihn die Kollegen nennen, ist nach einer längeren Zwangspause wieder Stammspieler – und in Torlaune.

Es gehört zu den Tücken des Erfolgs, dass man sich als Torjäger mit jedem Treffer der Selbstüberschätzung nähert. Kumbela wollte seinem 0:1 in Nürnberg unbedingt auch noch ein Elfmetertor folgen lassen, obwohl er selbst zuvor gefoult worden war. Wer sollte ihm das verbieten? Die Entscheidung, dass er sein Glück versuchten würde, war offenbar nicht basisdemokratisch getroffen worden. Der vor Selbstvertrauen nur so strotzende Domme – bzw. Kumba – war der Meinung, dass dank seiner Schusskünste schon alles gut würde.

Es ist nicht schlecht, wenn Stürmer so denken und als Egoisten auftreten – so lange sie den Bogen nicht überspannen. Was Kumbela als Torgarant und Torsten Lieberknecht als Eintracht-Trainer verbindet, heißt wahlweise Zweckbündnis oder Schicksalsgemeinschaft. Beide hätten es ohne einander kaum bis in die 1. Liga geschafft. Der Chef schützt seinen Angestellten deshalb bei privaten Eskapaden genauso wie nach verschossenen Elfern. Und es ehrt die Eintracht bei der Eintracht, dass alle Hauptdarsteller nach diesem Muster verfahren: Sie verzeihen Kumbela Dinge, die hinter den gemeinsamen Zielen auf dem Platz verschwinden. Dass der 29-Jährige ein richtig guter Stürmer, aber kein guter Elfmeterschütze ist, weiß ganz Braunschweig. Trotzdem hat niemand Kumbela aufgehalten, als er sich am 22. Spieltag dafür entschied, das Glück zu erzwingen.

Die Eintracht hat keinen guten Elfmeterschützen. Deshalb muss sie nehmen, was sie bekommen kann. Auch deshalb bleibt Kumbela ein Solokünstler, den man besser einfach weiter starkredet.  CHRISTIAN OTTO