Die Nische wird teuer

KREUZBERG Das Hausprojekt „Reiche 63a“ kämpft gegen eine angedrohte 100-prozentige Mieterhöhung. Der Bezirk als Vermieter sagt, es muss sein, weil er sonst selbst draufzahlt

Auch 19 der 20 „normalen Mieter“ haben der Mieterhöhung widersprochen

VON CHRISTOPH VILLINGER

Mieterklagen über gierige Privatvermieter gibt es zuhauf. In dieser Geschichte jedoch steht ausgerechnet der grün regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Verdacht, mit einer happigen Mieterhöhung ein linkes Hausprojekt loswerden zu wollen. Oder nicht?

Am heutigen Donnerstag werden das Hausprojekt „Reichenberger Straße 63a“ und das Bezirksamt von Friedrichshain-Kreuzberg erstmals vor der 12. Zivilkammer des Berliner Landgericht aufeinandertreffen. Anhängig ist eine Klage des Bezirks auf Feststellung, ob der Mietvertrag mit dem Hausprojekt „unbefristet“ oder auf „unbestimmte Zeit“ abgeschlossen wurde.

Als 1990 das aus Spekulationsgründen leer stehende Haus besetzt wurde, mietete aufgrund des politischen Drucks der Bezirk das Haus vom juristischen Eigentümer, der Baugesellschaft Heymann und Kreuels, und vermietete das Hinterhaus an die Besetzergruppe weiter. Das Vorderhaus und der Seitenflügel wurden im Rahmen des Sanierungsgebiets als Umsetzwohnungen genutzt. „Seit etwa zwanzig Jahren leben wir als Großgruppe mit rund 25 Menschen als linkes Hausprojekt im Hinterhaus“, berichtet Daniela W., die selbst seit 13 Jahren dort wohnt. Bereits vor drei Jahren verlangte das Bezirksamt eine Mieterhöhung um rund 100 Prozent auf den „mittleren Wert des Mietspiegels“, der sie widersprachen. „Unserer Meinung nach ist der Vertrag unbefristet und gilt daher bis 2020, und die Miethöhe ist bis dahin festgelegt“, sagt W. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch dürften „unbefristete“ Verträge erst nach dreißig Jahren überprüft und neuen Gegebenheiten angepasst werden.

Dem widerspricht der Bezirk. Seiner Meinung nach ist der Mietvertrag nur auf „unbestimmte Zeit“ abgeschlossen worden und kann deshalb gekündigt und neu verhandelt werden. Daniel Wesener, Fraktionssprecher der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung, hat sich „in die unglaublich komplizierte Geschichte eingearbeitet“. Für ihn ist klar, dass „wir ein Interesse an einer Vertragslösung haben, damit das Projekt dort bleiben kann“.

Druck in falsche Richtung

Aber seit 2000 müsse der Bezirk wesentlich mehr Miete an die Eigentümer bezahlen als zuvor. „Bisher konnte die Differenz aus den Einnahmen durch die Mieter im Haus und dem, was der Bezirk an den Eigentümer bezahlen muss, aus Mitteln der Städtebauförderung ausgeglichen werden.“ Doch mit dem Ende der Sanierung laufen diese Mittel aus. „Und dann soll der Bezirk die Miete subventionieren?“

„Ich versteh vieles“, kontert Daniela W., aber ihrer Meinung nach gibt der Bezirk den Druck in die falsche Richtung weiter, „stattdessen sollte er endlich was gegen die steigenden Mieten unternehmen“. Sie selbst und ihre MitbewohnerInnen sehen sich mit ihren geringen Einkommen nicht in der Lage, eine 100-prozentige Mieterhöhung zu verkraften, und fürchten nun die Vertreibung ihres Hausprojekts.

In ihrem Alltag begegnet Daniela W. immer wieder Menschen, „die seit 20 oder 30 Jahren hier im Kiez leben und sich nun gezwungen sehen wegzuziehen“. Deshalb will sie „notfalls wieder die schwarz-rote Besetzerfahne hissen“. Wie aufgeladen die Stimmung im Kiez sei, sehe man daran, dass auch 19 der 20 „normalen Mieter“ in Vorderhaus und Seitenflügel der Mieterhöhung widersprochen haben.