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Archiv-Artikel

Erst einmal warm werden

Die Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose Herz As feiert 25. Geburtstag. Wer kein Dach über dem Kopf hat, kann hier einfach vom Stress der Straße ausspannen. Mehr Hilfe gibt’s eine Treppe höher

Von PHILIPP RATFISCH

Vor dem Eingang hat sich schon eine kleine Schlange gebildet. Sehr ruhig stehen die zwanzig Leute da, von Ungeduld keine Spur. Dann, um zwölf, öffnet sich die Glastür, und alles strömt nach drinnen, in den Speisesaal des Herz As. Eine Mitarbeiterin der Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose drückt jedem Besucher eine Essensmarke in die Hand.

Der Raum erinnert an eine Jugendherberge: Sauber und aufgeräumt sieht es aus. In der Mitte des Raumes steht ein Bücherregal, das den Raucher- vom Nichtraucherbereich trennt. Durch eine große Fensterfront fällt Licht auf die hellen Holztische und -stühle. Alle warten darauf, dass ihnen das Essen serviert wird. Viele der Besucher kennen sich offenbar schon seit längerem, der Umgangston ist vertraut. Bald sind die meisten der 86 Plätze besetzt.

Hendrik* wirft eine Schachtel Zigaretten auf den Tisch. „Will jemand eine? Die sind selbst gedreht.“ Der 37-Jährige kommt seit etwa einem Jahr regelmäßig ins Herz As. Obdachlos ist er momentan nicht. Aber er war auf der Straße, ein Jahr lang. Mit 16 flog er bei den Eltern raus, nahm Heroin, bis er vor kurzem den Entzug schaffte. Einen Schulabschluss hat er nicht, Arbeit seit einiger Zeit auch nicht mehr. Im Herz As fühlt er sich wohl. Hier kann er sich mit anderen austauschen. Über Arbeitsangebote zum Beispiel.

„Unten am Hafen suchen sie Leute“, erzählt Joachim*. Auch er ist arbeitslos, seit drei Jahren. „Davor habe ich dreizehn Jahre lang in einer Halle Rohre gewickelt“, berichtet der 40-Jährige. Gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen begann er zu trinken. „Wenn du drin bleiben wolltest, musstest du mitziehen“, versucht er sich zu rechtfertigen. Irgendwann sei es ihm dann zu viel gewesen und er habe gekündigt. Trocken ist er seitdem noch nicht geworden.

Erst vor einigen Tagen ist Joachim nach Hamburg gekommen, weil seine Frau ihn vor die Tür gesetzt hat. „Ich weiß aber schon, wo ich heute Nacht penne“, sagt er. „Eine Wohnung kriege ich bald.“ Das Herz As hilft ihm dabei. Joachim ist sich sicher: „Wenn die hier nicht wären – wir wären alle schon längst vor die Hunde gegangen.“

Das Herz As ist in erster Linie Anlaufstelle und Schutzraum für Wohnungslose. „Es ist wichtig, dass sie das Gefühl haben: Ich kann da hinkommen, ohne gleich Pflichten zu haben“, erklärt Traudel Schönsee das Konzept der Einrichtung. Die 60-jährige Sozial- und Heilpädagogin arbeitet seit 19 Jahren hier. Die täglich rund 170 Besucher sollen sich zunächst einmal ganz unverbindlich in den Räumen aufhalten und ausruhen können. Essen, Wäsche waschen, duschen und ein neues T-Shirt aussuchen – diese Grundbedürfnisse werden als erstes erfüllt.

„Es dauert doch etwas, bis die Leute mit ihren Problemen kommen“, berichtet Schönsee. „Die müssen erst einmal warm werden.“ Wenn es soweit ist, können sie sich an einen der vier Sozialpädagogen im ersten Stock wenden. „Da können die sich erstmal die Seele aus dem Leib reden.“ Dann gibt es konkrete Hilfsangebote, etwa bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Arbeitsplatz. Wenn nötig, vermitteln die Fachkräfte ihre Besucher an andere Einrichtungen wie Drogenberatungsstellen weiter. Und sie unterstützen sie bei Behördenangelegenheiten – die oft ziemlich kompliziert sind.

„Selbst ich bin immer wieder erstaunt, wie verworren das alles ist“, gesteht Schönsee. Bis zu fünf Telefonate seien manchmal nötig, um den richtigen Ansprechpartner zu finden. „Wie soll ein Wohnungsloser diese Dinge bewerkstelligen?“ – ohne eigenes Telefon, ohne die nötige Ruhe. Zudem haben viele nicht mehr alle Papiere. „Wenn nur ein Zettel fehlt, bekommen die kein Geld“, beschreibt Schönsee das Problem. Von einer Schließung sei das Herz As nie bedroht gewesen, so die Pädagogin. Auch ein Indiz dafür, dass die „Kundschaft“ nicht weniger wird.

* Namen von der Redaktion geändert