Drei Tage lang Buch an Performance

MESSE Für Spezialisten, die wissen, was sie suchen, hat Alexis Zavialoff seinen kleinen und mehr als feinen Buchladen „Motto“ in der Skalitzer Straße eröffnet. Ab heute lädt er dort zur „Art Book Fair Second Edition“ ein

Berlin ist billiger als Zürich, das bekommt Zavialoff oft zu hören, aber eben auch ärmer

VON RENÉ HAMANN

Er ist nicht leicht zu finden. Von der Straße aus ist er nicht zu sehen, nur ein großes Schild, auf dem Schild steht sehr groß „Motto“, aber das könnte ja alles Mögliche bedeuten. Motto, das könnte eine T-Shirt-Firma sein oder ein Postergeschäft. Er befindet sich mitten auf der belebtesten Straße Kreuzbergs, schräg gegenüber von McDonald’s und Postfiliale auf der Skalitzer Straße. Nur, dass er sich im Hinterhof befindet, in der Nummer 68. „Motto“, das ist ein Buchladen. Ein Buchladen für Hefte, Magazine, Kleinformate aus dem Bereich Kunst, Mode, Fotografie.

Betrieben wird der Laden von einem sympathischen jungen Mann mit gestutztem Bart und französischem Akzent. Er hat eine Katze und eine Freundin und mehrere Leute, die im und um den Laden herum herumwuseln, denn am Freitag findet so etwas wie eine Messe rund um den Laden statt, die „Art Book Fair Second Edition“ „Unter dem Motto“. Zum zweiten Mal bereits. Es wird Performances geben, Neuvorstellungen, Filmvorführungen, Gespräche, Musik. U. a. wird ein Fassbinder-Film dekonstruiert, ein Theaterstück gelesen und am Samstagabend spielt Christian Naujoks. Das Programm endet am Sonntagabend in den Räumen des befreundeten Buchladens pro qm in Mitte mit der Vorführung von Filmen von John Latham.

Der sympathische junge Mann kommt aus der französischen Schweiz, genauer aus Lausanne, und heißt Alexis Zavialoff. Seine Fachbuchhandlung betreibt er seit gut eineinhalb Jahren, angeschlossen ist noch eine Galerie namens CHERT, die seine Freundin Jennifer leitet. Agiert wird nicht nur in diesem Hinterhof, in den ehemaligen Räumen der „Bilderrahmenfabrik Friedrich Wehner“, die vor fünfzig Jahren einmal sehr groß gewesen sein muss, so groß, dass es sogar für ein übergroßes Logo an der Hauswand gereicht hat. Agiert wird weltweit. Es gibt einen Vertrieb in Lausanne, einen weiteren Laden in Zürich. Außerdem kommen Zavialoff und Anhang verdammt viel rum.

Begonnen hat Zavialoff als Fotograf. Er fotografiert immer noch, wenn es drauf ankommt. Seine erste Arbeit war die Herausgabe eines Snowboarding-Magazins im schweizerischen Wallis Anfang dieses Jahrtausends. Inzwischen hat er die Welt gesehen, nicht nur mit seinem „travelling bookstore“. Er hat in Barcelona, in Prag und in New York gelebt. Jetzt lebt er eben in Berlin und reist nach Rotterdam, Seoul, Vancouver. Und am Wochenende bekommt er Besuch. Rund 100 kleine Verlage präsentieren ihre Kunstbücher.

Kleine Bücher, das muss mal schnell erklärt sein, unabhängige Kleinverlage usw., das kennt man auch vom Literaturbetrieb. Oder aus der Musik (früher). Unzählige Kleinformate in kleinen Auflagen, und alle liegen sie in dem Buchladen herum. Säuberlich sortiert. Es gibt Bücher mit diesen kunsttypisch schönen Titeln: „Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben“. „Hand Guns“ von Erik van der Weijden. Für 18 Euro. „Things That Do Not Happen“ von Fabio Barik. Bücher wie „I Believe Every Word You Say“, die an Miranda July denken lassen, oder Sachen wie „26 Autobahnflaggen“, dessen Inhalt dann aber nicht das hält, was der Titel verspricht.

Es gibt Bücher mit Grafikkunst, mit Kunstfotografie, es gibt Bücher und Hefte nur mit Text, aber mit Literatur in dem Sinne haben diese nichts zu tun. Es geht um „Art Writing“. Eine Nische, ein Spezialistenfeld, das sich bewusst oder unbewusst vom Literaturbetrieb abzugrenzen sucht. Aus Köln und Düsseldorf kennt man solche kleinen, aber mehr als feinen Läden, ein Spezialistengeschäft für Spezialisten, die wissen, was sie suchen. Laufkundschaft gibt es hier selbstredend kaum. Tragen kann sich der Laden trotzdem. Aber Berlin ist im Vergleich zur Schweiz auch billig.

Da lächelt Alexis Zavialoff. Das bekommt er in Zürich auch oft zu hören. Berlin ist billiger als Zürich, als Paris oder London, dafür aber eben auch ärmer. Die Leute haben weniger Geld zum Ausgeben. „Everything counts in small amounts“.

Und Berlin ist dunkler. Und kälter. Immerhin stimmt die Nachbarschaft – der Buchladen b_books ist nicht weit, drüben gibt oder gab es das Basso, wo sich das Umfeld des Kunstmagazins Freeze und der Band Dominique rumtreibt, im Rücken liegt das Ausgehviertel rund um die Schlesische Straße. Natürlich setzt auch hier die Gentrifizierung ein. Zavialoffs türkischer Friseur, erzählt er, ist jetzt weggezogen, neu gibt es einen Friseur aus Hamburg, ungleich teurer und nicht mal so gut. Sagt er. Seine Wohnung liegt auch um die Ecke, und zwar in dem schönen Neubau, der mit dem Spruch „Bonjour Tristesse“ markiert ist.

Der Laden ist nicht leicht zu finden, aber ein Besuch lohnt sich. Kunstpostkarten gibt es auch, speziell zur Messe gedruckt, nicht teuer, man sollte einfach mal vorbeischauen und welche mitnehmen. Jetzt am Wochenende zum Beispiel.

■ „Art Book Fair Second Edition: Unter dem Motto“, 3.–5. 9., „Motto“, Skalitzer Straße 68, Kreuzberg www.mottodistribution.com