Angela Merkel spricht – und sagt nur wenig

Der erste Auftritt der Kanzlerin nach Tagen des Schweigens zum Libanoneinsatz zeigt ihr objektives Dilemma und ihre subjektive Schwäche

BERLIN ■ taz Wo ist Angela Merkel? Und was denkt sie, dort, wo sie ist, über den außenpolitischen Großkonflikt im Nahen Osten? In der Koalition wurden diese beiden Fragen in den letzten Tagen so laut gestellt, dass sich Merkels Zurückhaltung in ihrem Urlaubsort zu einem Kanzler-Vakuum auswuchs. Schon wurden Vergleiche mit Gerhard Schröder gezogen. Der hätte solch eine Grundsatzfrage längst zur Chefsache erklärt und, Urlaub hin oder her, in einer Fernsehansprache die skeptischen Deutschen von der Notwendigkeit eines Einsatzes im Libanon überzeugt, heißt es bei den Sozialdemokraten.

Als die Kanzlerin am Donnerstagabend dann doch eine Erklärung zum Libanoneinsatz abgab, war sie bereits hoffnungslos in der Defensive. Ihre Führungsfähigkeit wurde ebenso infrage gestellt wie ihre außenpolitische Linie. Dazu hatte auch eine Stilfrage beigetragen. Dass die Koalitionsspitze eine so weitreichende Entscheidung wie die über den deutschen Beitrag zur Nahost-Friedenstruppe in einem kleinen Waldhotel in Bayreuth traf und die Kanzlerin gleich anschließend im Ballkleid in Wagners „Götterdämmerung“ entschwand, wurde ihr sogar in den eigenen Reihen als Taktlosigkeit vorgehalten. Manche erinnerten daran, dass Rudolf Scharping auch zur falschen Zeit am falschen Ort war, als deutsche Soldaten nach Mazedonien ausrückten. Die Badefotos, die Scharping mit seiner Gräfin fröhlich planschend in einem Pool auf Mallorca zeigten, kosteten ihn sein Amt als Verteidigungsminister.

Merkels Kurzauftritt im Kanzleramt zeigte ihre objektiven Zwänge in der politisch unklaren Situation im Nahen Osten – und ihre grundsätzlichen Schwächen. Die Kanzlerin weiß, dass der Waffenstillstand im Libanon zerbrechlich ist und bei der Zusammenstellung der UN-Truppe auf allen Seiten hoch gepokert wird. Wer sich da zu früh festlegt, gerät möglicherweise in eine nicht mehr zu kontrollierende Situation. Deswegen legte Merkel am Donnerstagabend größtmögliche Zurückhaltung an den Tag. Sie wollte sich beim deutschen Beitrag zur Umsetzung der UN-Resolution 1701 auf so gut wie nichts festlegen – und sie wird das wohl so lange nicht tun, wie die Regeln des Einsatzes nicht feststehen. „Man kann heute nicht sagen, ob es zu einem solchen Angebot kommen wird“, lautete eine ihrer Formulierungen. Eine andere: „… falls es zu Kabinettsbeschlüssen kommen sollte, was heute noch nicht abzusehen ist.“

In dieser außenpolitisch schwierigen Lage könnte Merkels Zurückhaltung durchaus klug sein, würde die Kanzlerin denn wenigstens erklären, warum ein Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten prinzipiell wünschenswert und notwendig sei. Diese Gelegenheit hat sie bei ihrem Auftritt verstreichen lassen. Sie führte lediglich zwei halbe Argumente an. Das erste: Wenn Deutschland sich „abseits stellen“ würde, verlöre das Land „massiv“ an außenpolitischem Einfluss. Das zweite: Es sei aus ihrer Sicht „nicht glaubwürdig“, aus der Vergangenheit und der besonderen Beziehung Deutschlands zu Israel „im Umkehrfall“ zu schlussfolgern, dass „wir nichts tun können“. Aus der besonderen historischen Situation ergebe sich jedoch eine „besondere Sensibilität“.

Vor diesem Hintergrund und der damit zusammenhängenden unklaren Stimmungslage im Bundestag will Merkel nicht diejenige sein, die zu einem Libanoneinsatz drängt. Obwohl sie weiß, dass er unvermeidlich sein wird. Ihr Dilemma wird am Montag öffentlich zu besichtigen sein. Um 11.30 Uhr plant sie einen Auftritt in der Bundespressekonferenz. Angekündigt ist er unter der Überschrift „Aktuelle Fragen am Ende der Sommerpause“. JENS KÖNIG