Stille auf den Gleisen

Der Hamburger Hauptbahnhof wurde am Samstag wegen einer Bombendrohung für zwei Stunden komplett gesperrt. 77 Züge hatten Verspätung, 39 stoppten in Vororten. Wenige Stunden zuvor wurde in Kiel einer der mutmaßlichen Attentäter gefasst

von KAIJA KUTTER

Prägt die Terrorgefahr jetzt auch den Alltag in der Millionenmetropole Hamburg? Elf Stunden Stunden nachdem am Samstag Morgen in Kiel einer der beiden mutmaßlichen Kofferattentäter gefasst wurde, erreichte eine Bombendrohung den Hamburger Hauptbahnhof. Ein Fehlalarm. Polizeisprecher Andreas Schöpflin erklärte am Sonntag, nach der Durchsuchung des Hauptbahnhofs habe man „keinerlei Hinweise“ auf einen Zusammenhang mit den Kieler Ereignissen.

Doch als am Samstagmittag um 15:17 Uhr die Bombendrohung einging, unterzogen Polizeiexperten dies sofort einer Lagebeurteilung. „So etwas kann immer ein Kinderstreich sein“, sagt Schöpflin. „Nach den Erkenntnissen, die wir hatten, konnten wir eine Ernsthaftigkeit nicht ausschließen.“

„Wirklich sehr schnell“, so Bahnpolizeisprecher Andreas Rundt, sei der Hauptbahnhof dann gegen 17:50 Uhr geräumt worden. Um keine Massenpanik zu erzeugen, nahmen die Beamten das Wort „Bombe“ nicht in den Mund, sondern sprachen nur von einem „polizeilichen Einsatz“, dessen wegen die Menschen den Bahnhof verlassen sollten. „Es war sehr positiv, wie verständnisvoll die Bürger reagierten“, sagt Polizeisprecher Schöpflin. Sechs Züge waren noch im Bahnhof, vier konnten noch losfahren, in zweien mussten die Passagiere aussteigen.

„Zum Glück“, so Bahnsprecherin Britta Bürger, „hatten wir keine Hauptverkehrszeit.“ Denn für zweieinhalb Stunden war das Drehkreuz des Norden stillgelegt. 77 Züge hatten insgesamt 3.005 Minuten Verspätung. Und es gab 39 Teilausfälle von Zügen, die ihre Fahrt an Vororten beenden mussten. So stoppten Züge aus Lübeck in Hamburg-Wandsbek, aus Lüneberg in Hamburg-Harburg, aus Schwerin in Hamburg-Bergedorf und aus dem Norden in Hamburg-Altona.

Radioreporter berichten später von einer „gespenstischen Ruhe“ in der großen Stahlträgerhalle. Während draußen die Landespolizei die anliegenden Straßen räumte, begann drinnen die Bundespolizei, zu der seit 1992 auch die Bahnpolizei gehört, „Raum für Raum“ zu durchsuchen, wie Rundt berichtet. Dabei wurden auch alle Schließfächer geöffnet und das Gepäck durchsucht. „Es ging so schnell in zwei Stunden, weil unsere Beamten das Gebäude kennen“, sagt Rundt, der nicht erinnert, dass es eine solche Totalssperrung des Bahnhofs schon einmal gab.

Am Kieler Hauptbahnhof, nur eine gute Zugstunde entfernt, war kurz vor vier Uhr früh ein 21-jähriger Libanese festgenommen worden, der in Kiel studiert. Nach Angaben von Generalbundesanwältin Monika Harms sei er aufgrund von DNA-Spuren „definitiv“ einer der beiden Männer, deren Kofferbombenanschläge auf Regionalzüge nach Koblenz und Hamm Ende Juli fehlschlugen. Gegen den in Kiel festgenommenen mutmaßlichen Bahn-Bombenleger ist gestern Haftbefehl erlassen worden: Der 21-jährige wird der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und des versuchten Mordes beschuldigt.

Augenzeugenberichten zufolge wurde der Frühzug nach Hamburg um kurz vor vier Uhr morgens gestoppt. „Plötzlich kam die Durchsage, dass wir den Zug wieder verlassen sollten“, sagte ein 20-Jähriger aus Schöneberg der Deutschen Presseagentur. „Auf dem Bahnsteig lagen zwei Männer mit Handschellen auf dem Boden.“ Noch Stunden später war vor dem Kieler Bahnhof ein weißes Zelt aufgebaut, in dem Ermittler in weißen Overalls Gepäckstücke untersuchten.

Am Freitagabend waren Videos von den Verdächtigen über die TV-Bildschirme geflimmert. Terrorexperten warnten, dass die beiden nach den Fahndungsaufrufen fliehen oder einen zweiten Anschlag versuchen könnten. Nach der Kieler Festnahme erklärte CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble die Sicherheitslage für „ungewöhnlich ernst“. Das ZDF verfügte über Informationen, wonach der Mann „nicht fliehen, sondern einen zweiten Anschlag verüben“ wollte.

Bundesanwaltschaftssprecherin Frauke-Katrin Scheuten wollte dies gestern „nicht kommentieren“, betonte aber, dass ihre Chefin Monika Harms „von Flucht“ gesprochen habe. Und auch BKA-Chef Jörg Zierke erklärte, dass am Kieler Bahnhof kein Sprengstoff gefunden wurde. Darüber, ob es möglicherweise Trittbrettfahrer waren, die den Schreck auslösten, wollte auch Polizeisprecher Schöpflin „nicht spekulieren“.

Vom Hamburger SPD-Sicherheitsexperten Andreas Dressel, der die Polizei stets kritisch beäugt, gibt es Zustimmung zum Einsatz. „Es ist für mich nicht erkennbar, dass hier zu langsam oder überreagiert wurde“, sagt er.