Gedankendichte in Hildesheim

Neues vom Stuhlgang in der modernen Lyrik: Flüssige Poesie aus Niedersachsen

Vor ein paar Tagen übermittelte mir der in Hildesheim wohnhafte Regisseur Wenzel Storch brieflich „Grüße aus dem ‚Potte‘, wie man diese Scheißgegend hier auch nennt“. Fast gleichzeitig spielte mir die Kommissarin Zufall in Gestalt einer ebenfalls in Hildesheim ansässigen Dame den Gedichtband einer ihrerseits in Hildesheim beheimateten Lyrikerin in die Hände. Hinten auf dem Buche steht zu lesen: „Die Autorin wurde im August 1937 in Hildesheim – zwischen Harz und Hannover – geboren und hatte das Glück, auch bis heute hier leben zu können!“

Leitmotivisch durchzieht den „Gedanken-dichte“ betitelten Band ein satter Geruch vom stillen Örtchen: „Seufzend erhebst du dich am Morgen, / mußt wieder deinen Darm entsorgen …“ Gemeint ist hier natürlich nicht der Darm, sondern dessen Inhalt, der sich dem Leser auch in einem „An den lieben Gott“ gerichteten Gedicht aufdrängt: „Ein Häufchen jeden Morgen / mich auch noch sehr beglückt, / wenn es ohn’ Zwang und Sorgen / das Licht der Welt erblickt.“

Weniger glimpflich ergeht es dem lyrischen Ich in einem Gedicht mit der verheißungsvollen Überschrift „Entsorgungsprobleme“: „Und der Darm in seiner Einfalt / gebietet freudig und erregt / auch dem Treiben keinen Einhalt, / sondern leitet und zerlegt! // Alles regt und rührt sich munter, / nichts bremst den gewohnten Lauf, / emsig geht’s den Darm hinunter, / tut die letzte Tür sich auf? // Doch, dann kommen mir die Tränen! / Es wird gekämpft, gedrückt, gepreßt, / bis mit Schmerzen, Blut und Stöhnen / mich der Speise Rest verläßt!“

Eine Spur flüssiger wirkt das Gedicht „Flurschaden“: „Und hinter manchem Busche / da ging ich in die Knie’ / und diese ‚warme Dusche‘ / vergißt man dort wohl nie! // Doch dankbar sie wohl waren, / daß es nicht ‚dicker‘ kam, / sonst läg’n mit Haut und Haaren / sie sicher länger lahm!“

Zu „Potte“ gekommen ist die Dichterin auch mit ein paar Versen über den Kameraden Hund: „Hat er nun noch mal gepischt, / trag’ Sorge, daß er nicht entwischt, / bevor er wieder abgewischt!“ Die Kühnheit ihrer Reime („entwischt / abgewischt“) weist die Autorin als Erbin Heinrich Heines aus; rein „inhaltlich“ knüpft sie indessen an das vernachlässigte Erbe des Duos Schobert & Black an, das in den Siebzigerjahren gesungen hat: „Warum nimmt denn der Handelsmann / statt Bargeld keinen Stuhlgang an?“

Die Gedichte verdanken sich einem starken inneren Bedürfnis: „Bis doch der innerliche Drang / den Weg zum ‚Plumpsklo‘ dann erzwang!“ Ein hölderlinisches Abschiedsmotiv („Doch uns ist gegeben, / auf keiner Stätte zu ruhen“) klingt an, wenn die Autorin die existenzielle Notsituation des modernen Menschen bedichtet, der morgens sein Bett verlassen muss, um auf die Toilette gehen zu können: „Leb’ wohl, du wohl’ge Wärme, / es drängelt im Gedärme / und treibt mich leider fort / zu dem gewissen Ort.“

Man nennt ihn Hildesheim.

GERHARD HENSCHEL

Bärbel Rehberg: „Gedanken-dichte. Gedichte“. Selbstverlag Bärbel Rehberg, Hildesheim, 194 Seiten, 12,50 €