Student mit vielen Gästen

Die Ermittlungsbehörden vermuten ein Netzwerk hinter den zwei verdächtigen Bombenlegern von Köln

„Wir haben immer Witze darüber gemacht, dass er ein Terrorist ist“

VON ELKE SPANNER
(KIEL) UND ASTRID GEISLER (BERLIN)

Auch am Tag nach der Festnahme ist das Wohnheim im Kieler Stadtteil Projensdorf abgesperrt. Die Spurensicherung ist noch zugange. Nur Studenten, die im Edo-Osterloh-Haus wohnen, dürfen rein oder raus. Wer herauskommt, tut dies zumeist im Laufschritt, um den lauernden Journalisten zu entgehen. Es sind Semesterferien. Das Gelände liegt fast wie ausgestorben da.

Sebastian Walter ist einer der wenigen Studenten, die stehenbleiben, und sagt, was er weiß über jenen libanesischen Mitbewohner, der am Vortag am Kieler Hauptbahnhof festgenommen wurde. Der 23-Jährige hat mit Youssef Mohamad E. in einer Wohngemeinschaft von fünf Studenten gelebt. Es sei schwer gewesen, sagt er, Kontakt zu dem Libanesen aufzubauen. Nicht nur wegen der sprachlichen Barriere: Youssef habe seine eigenen Freunde gehabt und wenig Interesse an der WG signalisiert.

Einiges erscheint dem Studenten im Nachhinein auffällig – Kleinigkeiten, denen er bis zu diesem Wochenende wenig Bedeutung geschenkt hatte. Zum Beispiel, dass Youssef immer sehr viel Besuch bekommen habe. „Von früh bis spät.“ Meist habe Youssef sich mit den Gästen im Zimmer eingeschlossen. „Wir haben immer Witze darüber gemacht, dass er ein Terrorist ist“, sagt Sebastian Walter. „Aber wirklich ernst gemeint haben wir das natürlich nicht.“

Heute weiß er es besser. So bald jedenfalls dürfte der Mitbewohner nicht mehr in seine Kieler WG zurückkehren. Gestern wurde der 21-jährige Libanese im Hubschrauber der Bundespolizei nach Karlsruhe geflogen. Dort wartete der Ermittlungsrichter bereits auf ihn. Er erließ wegen hinreichendem Tatverdacht Haftbefehl.

Youssef Mohamad E. soll der junge Mann im Fußballtrikot sein, der am 31. Juli am Kölner Hauptbahnhof eine von zwei zündfähigen Kofferbomben in einem Regionalzug platzierte. Die Beweise sind laut Bundesanwaltschaft eindeutig: DNA-Spuren sowie Fingerabdrücke von einer der sichergestellten Kofferbomben stimmten mit seinen überein, verkündete die Behörde.

Die offiziellen Angaben zu dem Festgenommen selbst sind dürr: Laut Bundesanwaltschaft reiste Youssef 2004 nach Deutschland ein. Nach dem Besuch des Studienkollegs studierte er seit Februar 2005 an der Fachhochschule in Kiel Mechatronik. Er hatte als Student eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Damit stammte der Libanese offenbar aus einem ähnlichem Milieu wie jene Männer, die als „Hamburger Terrorzelle“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in die Geschichte des islamistischen Terrorismus eingingen: junge, unauffällige Studenten aus dem arabischen Raum.

Die Festnahme des Libanesen erfolgte, keine 24 Stunden nachdem das Bundeskriminalamt mit Fahndungsbildern zweier junger Männer an die Öffentlichkeit gegangen war: Am frühen Samstagmorgen griffen Sicherheitsbeamte am Kieler Hauptbahnhof zu. Um 3.55 Uhr sollte eine Regionalbahn nach Hamburg losfahren. „Plötzlich kam eine Durchsage, dass wir den Zug wieder verlassen sollen“, berichtete ein Passagier, der mit der Bahn unterwegs gewesen war. „Auf dem Bahnsteig lagen zwei Männer in Handschellen.“ Einer davon war der Tatverdächtige Youssef Mohamad, der andere ein Unbeteiligter, der wenig später freikam.

Angeblich wollte sich der Libanese absetzen und den Regionalzug nach Hamburg nehmen. Gerüchte, der Mann sei mit einer neuen Bombe unterwegs gewesen, bestätigten sich nicht. Zwar hatte der Libanese bei seiner Festnahme erneut einen Koffer dabei – aber keine explosiven Gegenstände darin.

Wie es drei Wochen nach den gescheiterten Anschlägen zur ersten Festnahme kam, dazu machten die Sicherheitsbehörden am Wochenende nur Andeutungen. „Verunsicherung und Fahndungsdruck“ hätten zu der Festnahme geführt, sagte der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, nebulös. „So ist eine Spur entstanden, die letztlich in Kiel zur Festnahme geführt hat.“ Damit ließ der BKA-Chef offen, ob es Hinweise aus der Bevölkerung waren, womöglich gar aus dem studentischen Umfeld des jungen Mannes, die zu dem Einsatz in Kiel führten. Die Schweigsamkeit verwundert nicht – schließlich befindet sich ein weiterer Verdächtiger bislang auf der Flucht. Jedes Wort könnte seine Festnahme erschweren.

Der zweite Gesuchte stamme nicht aus Kiel, ließ Ziercke nur durchschimmern. Man wisse aber weder, was er weiter vorhabe, noch, wie er auf die Festnahme reagieren werde. Im Klartext: Die Ermittler müssen fürchten, dass der Flüchtige zu einem weiteren Anschlag ansetzt. Es sei offen, sagte Ziercke, ob die handwerklichen Fehler beim Bombenbau inzwischen korrigiert worden seien und „womöglich eine neue Bombe in Bau ist“.

Die Ermittler von BKA und Bundesanwaltschaft scheinen ihr Augenmerk aber ohnehin auf ein größeres Netzwerk von Personen zu richten. Sie glauben nicht, dass die zwei von Videokameras gefilmten jungen Koffertransporteure den Anschlagsplan allein schmiedeten: „Die Umstände begründen den Verdacht, dass weitere und bislang unbekannte Personen sich dauerhaft zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben, um schwere Gewalttaten in der Bundesrepublik Deutschland zu verüben“, sagte Generalbundesanwältin Monika Harms am Samstag.

Zwei Bomben gleichzeitig in zwei Zügen detonieren zu lassen bedeute einen relativ hohen logistischen Aufwand – zu viel für zwei junge Männer allein. Nach Ansicht der Ermittler wurden die Anschläge vermutlich in Deutschland koordiniert. Man stehe aber, räumte Harms offen ein, bei der Aufklärung noch ganz am Anfang.

Wenn es ein sicheres Ergebnis der Ermittlungsarbeit im Kofferbombenfall gibt, dann dies: Das Netz der Überwachungskameras in Deutschland wird enger werden. Noch am Samstagabend erneuerte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seine Forderung nach intensiverer Videoüberwachung. Schließlich sei die Bedrohung noch nie „so nah“ gewesen, warnte der CDU-Politiker. Nur Stunden später kündigte die Deutsche Bahn bereits Vollzug an: Sie wolle ihre bundesweit 5.700 Bahnhöfe und Haltestellen mit weiteren Kameras aufrüsten.