Hinter der Maske: die blanke Angst

Der in Ungarn geborene Schriftsteller Akos Doma ist zurzeit Stipendiat des Lauenburger Künstlerhauses. Die Begegnung mit einer kleinen Demonstration von Neonazis in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt veranlasste ihn, den folgenden „Offenen Brief an eine Gruppe Skinheads“ zu schreiben

Von Akos Doma

Ihr kamt um die Ecke wie aus dem Nichts, eine schwarze Staubwolke, am sonnigen Samstag in Lauenburg, zur Marktzeit. Wir standen an der Ampel und warteten auf Grün. Ihr überquertet die Straße im Sturmlauf, es war euch egal, was die Ampel zeigte, sie würde sich schon nach euch richten, ihr wart ja in der Überzahl. Und ihr habt es geschafft, ihr habt mir Angst eingeflößt. Obwohl ihr nicht mich meintet. Das ist der Terror: Angst zu haben, auch wenn man nichts zu befürchten hat. Und ihr habt es geschafft, zum ersten Mal in dreißig Jahren Deutschland begegneten mir Neonazis, die vielbeschworenen, stets medienpräsenten. Ihr zogt vorbei, dreißig, vierzig Mann, stampftet euren Spruch in die Luft, Frei-e-Bahn-der-deut-schen-Ju-gend oder so, eine Vision von Panik und Gewalt und Apokalypse. Ich fuhr weiter. Das Leben ging weiter.

Aber sah man euch ins Gesicht, sah man dort hinter der hässlichen Maske: die blanke Angst. Sie schrie einem entgegen. Ihr drücktet euch aneinander, schobt einander gegenseitig nach vorne. Wärt ihr nur eine Sekunde stehen geblieben, verstummt, wärt ihr sofort auseinander gefallen und davongelaufen. Viele Worte kommen mir, Bezeichnungen tierischer Ansammlungen, ich werde sie nicht gebrauchen, zu leicht, zu bereitwillig kommen sie. Ihr habt mir Leid getan. Das kleine, mollige Mädchen in eurer Mitte, schiebend und geschoben, soll das ihr Leben sein? Oder eures? Kennt ihr überhaupt etwas anderes? Schönheit? Freude? Lust? Beethoven oder Chopin? Ein gutes Buch? Kanntet ihr überhaupt Eure Eltern? Oder waren sie den ganzen Tag in der Arbeit, im Vollrausch? Wie ist es möglich, dass ihr so naiv die euch zugedachte Rolle spielt und nicht bemerkt, dass ihr nur Marionetten der Mächtigen seid: Hass zu säen und Hass zu ernten. Feindbilder zu schaffen, Feindbild zu sein. Ablenkung zu sein von der wirklichen Apokalypse, die anderswo vorbereitet wird, schon jetzt stattfindet. Nebenschauplatz zu sein. Ein kleines Rädchen im großen Rad des nächsten Krieges, des dritten, großen, von langer Hand geplanten. Spätestens als vor einigen Jahren aufflog, dass eure ganze Führungsriege aus V-Leuten besteht, hättet ihr doch Verdacht schöpfen müssen, dass eure Aktivitäten gewollt, im Sinne der Mächtigen sind.

Was ihr auch tut, beruft euch dabei nicht auf Deutschland. Ihr dient eurer Heimat genauso wenig wie die amerikanischen und englischen Soldaten, die Iraker und Afghanen morden, ihren Heimatländern dienen. Ihr dient der Macht. Was ist die Macht? Die Macht ist das, was die Kriege ausruft, in die andere ziehen müssen, was die Gesetze der globalen Ausbeutung festschreibt, an denen ganze Kontinente zugrunde gehen. Die Macht ist das, was nicht Menschen, sondern nur abstrakte Ziele kennt und Instrumente, um sie zu erreichen. Die Macht, das sind banale, alte Männer in gated communities, die Tennis spielen und abends den Hund spazieren führen und in ihrer Machteinsamkeit masturbieren. Denn Macht und Liebe schließen sich aus. Es ist die eine Entscheidung im Leben, vor der es kein Entrinnen gibt.

Ihr habt es geschafft, mir Angst einzuflößen. Aber glaubt nicht, dass ihr die erschreckt, die ihr erschrecken wollt. Die sind von uns anderes gewohnt: Flächenbombardements, Städte, Länder, die in Schutt und Asche gelegt werden: Afghanistan, Irak, demnächst der Iran, hunderttausende Tote quer über einen riesigen Kontinent, und das sind nur die jüngsten Opfer des im Namen von Freiheit und Demokratie geführten, permanenten Kolonialkrieges. Ihr glaubt doch nicht, dass Eure armseligen Aufmärsche damit konkurrieren können? Oder mit der alltäglichen, subtilen Hetze in unseren Medien – nichts politisch Unkorrektes, Gott bewahre, schleichendes Gift mit Langzeitwirkung. Nicht die Gewalt ist schrecklich, schrecklich sind die Lügen, die ihr vorausgehen. Die Gefahr des Terrors, die Gefahr des Islamismus, die Gefahr des Islam, die Wortwahl wird immer wahlloser, nachgeplappert von zahllosen, zahnlosen Politikern. Feindbilder müssen her, wenn es schon keine Feinde gibt. So war es im Dritten Reich, so war es in der McCarthy-Ära, im Kalten Krieg, im Stalinismus, so ist es im Westen des 21. Jahrhunderts. Der bärtige Mann in der Höhle, der mit Laptop im Schoß die Welt bedroht. Gib auf deinen Nachbarn acht, er könnte mit ihm in Verbindung stehen. Zu schön, um wahr zu sein. Fehlt noch der Ruf des Regisseurs: Cut.

Und die Opfer? Die Moslems? Sie schweigen, sie wehren sich nicht, wenn, dann aus Verzweiflung. Sie verbergen ihren Schmerz über die Lüge, die Gewalt, die Erniedrigung. Es ist die Ohnmacht, vielleicht der Instinkt, vielleicht das tiefere Wissen jedes Opfers. Dostojewski drückte es so aus: „Nur das ist stark, wofür Blut vergossen wird!“ – bloß vergessen die Schufte, dass es sich nicht bei denen als stark erweist, die das Blut vergießen, sondern bei denen, deren Blut vergossen wird. Und das, gerade das ist das Gesetz des Blutes auf Erden. Der ungarische Philosoph Béla Hamvas sagt es so: Das ist die Phönixeigenschaft des Seins. Die Gewalt muss zugrunde gehen. Das Feuer verzehrt sie. Aber aus ihrer Asche entsteht es von neuem … Aus der Asche der Gewalt ersteht es auf: das Opfer.

Geht also nach Hause und macht nicht mehr den Popanzen eurer Feinde. Ihr müsst nicht Dostojewski lesen, aber es wäre hilfreich. Liebet Deutschland, das offene, friedliebende, den standhaften Kriegsdienstverweigerer. Und wenn es Euch nicht deutsch genug ist, geht zu Bett und zeugt Kinder. Damit Freude und Schönheit in Euer Leben zurückkehren. Und erzieht sie zu Menschen, die vor der großen Entscheidung die Liebe und nicht die Macht wählen.

Versucht es einmal. Ihr werdet es nicht bereuen.