Verheilte Wunden

Was macht eigentlich Hartmuth Wrocklage? Hamburgs einstiger SPD-Innensenator engagiert sich bei amnesty international. Teil 6 der taz-Serie über das Leben von PolitikerInnen nach der Politik

Von Sven-Michael Veit

Natürlich sagt er, dass er mit seiner politischen Vergangenheit „abgeschlossen“ hat. Dass er seinen Rauswurf aus dem rot-grünen Hamburger Senat im Frühsommer 2001 „verdaut“ hat. Nach einem Jahr etwa, sagt Hartmuth Wrocklage, sei er damit „durch gewesen“. So, wie er da sitzt im Café des Hamburger Literaturhauses, wirkt das überzeugend. Er lächelt viel, wie immer, er spricht engagiert, wie früher auch schon, gestikulierend in diesem ständigen Wechsel zwischen Temperament und Kontrolle, und doch erscheint er auf eine lässige Art entspannt, die der Innensenator Wrocklage nicht hatte. Zumindest in seinem letzten Amtsjahr 2001 nicht. Hartmuth Wrocklage wirkt jünger als damals.

Ein „liberaler Innensenator“ sei er immer gewesen, sagt Hartmuth Wrocklage, „und liberal wollte ich bleiben“. Sein Nachfolger, der damalige Hamburger SPD-Parteichef Olaf Scholz, verkündete, „liberal, aber nicht doof“ zu sein. Ein Schulterzucken ist jetzt Hartmuth Wrocklages Reaktion darauf, und ein kurzes Blitzen in seinen Augen deutet an, dass ihn das allenfalls noch belustigt, fünf Jahre nach seiner schwersten Niederlage.

Im September wird Hartmuth Wrocklage 67, seit Ende Mai 2001 ist er Pensionär, nach jahrzehntelanger Behördenkarriere muss er sich um seine Altersversorgung nicht sorgen. Er mache „nur noch, was mir Spaß macht“, vor allem ehrenamtlich, und manchem mögen seine Tätigkeiten im Widerspruch zu dem stehen, was er als Innensenator vertrat. Bei der Menschenrechtsorganisation amnesty international etwa arbeitet er mit, im Arbeitskreis Polizeirecherche. Vorträge hält er, meist rechtsphilosophischer Natur, auf Tagungen von Akademien oder am Institut für Kriminologie an der Uni Hamburg.

Und bei der Wiederbelebung der Humanistischen Union Hamburgs wirkt er mit, einer Bürgerrechtsorganisation vornehmlich von Juristen, die seit 1961 für die Wahrung von Menschen und Bürgerrechten eintritt. Zu ihren Zielen zählt unter anderem die Abschaffung des Verfassungsschutzes, dessen Dienstherr in Hamburg Hartmuth Wrocklage sieben Jahre lang war. Er grinst, als er das erzählt. Und sagt, dass er diese Forderung „persönlich so nicht mittragen“ könne, sich aber massiv für eine verbesserte Kontrolle der Geheimdienste einsetze – „siehe die BND-Affäre und die fragwürdigen Aktivitäten der US-Geheimdienste auch in Deutschland“.

Vor fünf Jahren war es, im Frühsommer 2001, als sich das innenpolitische Klima in Hamburg grundlegend änderte. Ein rechtspopulistischer Amtsrichter namens Ronald Schill mischte im Bürgerschaftswahlkampf die politischen Verhältnisse mit der Behauptung auf, Hamburg sei die deutsche „Hauptstadt des Verbrechens“. Die CDU des Bürgermeisterkandidaten Ole von Beust hängte sich dran, die Springer-Presse gab monatelang publizistischen Feuerschutz, und schon wankte die erste rot-grüne Koalition in der Geschichte der Hansestadt.

Hartmuth Wrocklage stand damals von allen Seiten unter Beschuss, bis ihn die eigenen Leute fallen ließen. Der Genosse, der 1994 Innensenator werden musste, weil die Partei und Bürgermeister Henning Voscherau ihn brauchten, war gut sechs Jahre später im Wahlkampf zum politischen Risiko geworden. Mit Innerer Sicherheit könne die SPD keine Wahlen gewinnen, lautete damals die vermeintliche Selbsterkenntnis, „aber verlieren“.

Schadensbegrenzung und eine Gegenoffensive gegen Schill und CDU lautete deshalb die neue Parole, und dafür musste Hartmuth Wrocklage das Feld räumen: Am 28. Mai 2001, vier Monate vor dem Wahltag, wurde er von Bürgermeister Ortwin Runde geopfert. Er habe „mit Überzeugung“ zur rot-grünen Innenpolitik gestanden, sagt Hartmuth Wrocklage, „und wollte die Partei überzeugen, dafür offensiv zu kämpfen“.

„Deshalb bin ich ja sehr gegen den mir aufgezwungenen Rücktritt gewesen.“ Letztlich habe er ihn „aus Loyalität vollzogen“, denn der Bürgermeister sei der Auffassung gewesen, „die Gesamtleistung des Senats werde von den Rauchschwaden der Kampagne gegen mich verdeckt“. Im Übrigen gelte der alte Spruch, sagt Hartmuth Wrocklage und grinst erneut, „die Partei gibt, und die Partei nimmt“.

Was die Partei, der er noch immer angehört, ihm nicht nahm, ist seine Überzeugung, dass der damalige Richtungswechsel falsch war. Brechmittel gegen Dealer, zum Beispiel, habe er nie gewollt, sein Nachfolger Scholz erlaubte deren Einsatz. Wrocklage hielt dieses Mittel für „menschenrechtswidrig“. Dass Anfang Juli der Europäische Gerichtshof die gleiche Auffassung vertrat, nimmt er im nachhinein als Bestätigung.

Einen Toten gab es, Achidi John, der im Dezember 2001 am zwangsweisen Einflößen eines Brechmittels starb. Da war zwar schon Schill Innensenator, der die „Politik der Sicherheitshysterie“, wie Wrocklage es nennt, salonfähig gemacht hatte. Seine eigene Partei aber war ein halbes Jahr zuvor auf diesen Kurs eingeschwenkt. „Zu viel Repression, zu wenig Prävention“, sagt Hartmuth Wrocklage, da habe „der Rechtsstaatsgedanke an Eindeutigkeit verloren“. Er glaube bis heute nicht an eine sozialdemokratische Innenpolitik, fügt er hinzu, „die sich darin erschöpft, ein klein bisschen liberaler zu sein als christdemokratische“.

Er ist immer noch engagiert, der ehemalige Innensenator, der Anfang der sechziger Jahre fast Literatur statt Jura studiert hätte, und entspannt zugleich. Das Literaturcafé an der Außenalster hatte er als Treffpunkt vorgeschlagen, „weil mir das so am Herzen liegt“. Als er noch Staatsrat in der Finanzbehörde war, hatte Wrocklage in Übereinstimmung mit dem damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hinter den Kulissen zur Realisierung dieser Institution beigetragen, hier ein paar Weichen gestellt für die Nutzung des Grundstücks, dort für die Absicherung im Hamburger Haushalt gesorgt.

Er kommt gerne hierher in diese gediegene Kaffeehaus-Atmosphäre, der bekennende Humanist Hartmuth Wrocklage, der mal Innensenator sein musste und das auch gerne war. Und dem niemand das je gedankt hat.