die sichtbarmachung in der ausgestorbenen gegend von EUGEN EGNER
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Seit der Eröffnung des gigantischen Einkaufszentrums beim Bahnhof haben in der Innenstadt alle Geschäfte schließen müssen. Niemand verirrt sich mehr in diese mittlerweile ausgestorbene Gegend. Als ich sie kürzlich doch einmal durchquerte, sah ich beiläufig, dass an einem der verlassenen Gebäude eine Stahltür weit offen stand. Jemand hatte ein Pappschild daran geklebt, auf dem in handgeschriebenen Druckbuchstaben „Sichtbarmachung“ stand. Neugierig warf ich einen Blick durch die Türöffnung.

Da gab es bloß einen kleinen, fensterlosen Raum zu sehen, und die einzigen Dinge darin waren ein alter Fernsehapparat auf einer Kiste und ein ramponierter Stuhl. In der gegenüberliegenden Wand befand sich eine weitere, allerdings geschlossene Tür. Unter ihr lief ein Kabel hindurch, an das der Fernseher angeschlossen war. Plötzlich begann der Bildschirm zu flimmern. Offenbar hielt sich jemand im Nebenraum auf und bediente von dort aus das Gerät. Ob da Kinder Kino spielten? Würde man Eintritt verlangen? Ich fand das amüsant und nahm Platz.

Auf dem Bildschirm wurde, während der Lautsprecher stumm blieb, etwas sichtbar, die schwarz-weiße Silhouette eines Berges oder Hügels, an dessen Fuß sich eine unkenntliche, wie zertrümmert anmutende Landschaft ausbreitete. Allmählich wurde mir klar, dass es ein Schutthaufen an einer größeren Baustelle war, ein wüstes Durcheinander aus Erdaushub, geborstenen Mauerstücken und Holzteilen, verknäuelten Kunststoffplanen und allerlei verbogenem Abfall-Kleinzeug. Die Kameraeinstellung blieb unverändert, es gab weder Schwenk noch Zoom. Handelte es sich bloß um eine Fotografie?

Wie ich so starrte, hatte ich den Eindruck, es käme Farbe ins Bild und eventuell sogar etwas Bewegung. War da nicht ein schwaches Pulsieren und Glühen? Waren nicht einige der zerknüllten und verbeulten Gegenstände im Begriff, langsam zu etwas Figurenartigem zu werden? Auf dem Schutthügel, so schien es, wollten Dinge entstehen, die ich beunruhigend fand. Zu gern hätte ich gewusst, wer sich im Nebenraum verbarg und bei dieser Darbietung die Fäden zog.

Ich stand auf und untersuchte die Tür, unter der das Kabel verschwand. Sie war abgeschlossen. Ich klopfte und rief ein paarmal laut, doch auf der anderen Seite reagierte niemand, es sei denn, das plötzliche Dunkelwerden des Bildschirms musste als Reaktion gewertet werden. Die Vorstellung war beendet, möglicherweise wegen meiner Aufdringlichkeit. Ich verließ den Raum und ging nach Hause.

Am nächsten Tag war besagter Nebeneingang wieder oder noch immer geöffnet. An der Stahltür klebte unter dem Schild „Sichtbarmachung“ ein Blatt mit dem Wortlaut: „Wir machen weiter. Der Diebstahl unserer Ausrüstung kann uns nicht daran hindern, den Betrieb aufrechtzuerhalten.“

Ich sah in den Raum hinein. Der Fernsehapparat stand nicht mehr auf der Kiste, das war wohl mit Diebstahl der Ausrüstung gemeint. Entschlossen lief ich zu der noch immer verschlossenen inneren Tür und klopfte kräftig an. Wie tags zuvor erhielt ich keine Antwort. Auch lautes Rufen half nicht. Jetzt hatte ich endgültig genug von der Angelegenheit.