Traurige Tradition

Theorie des Dranseins: Der VfL Bochum erkennt nach dem 1:2 gegen den FC Bayern seine Unterlegenheit nicht an

BOCHUM taz ■ Gut fünfzehn mal fünfzehn Meter groß war das Transparent, das die Bochumer Fans zum Anpfiff über ihre Köpfe reckten. Zu sehen war eine Zeichnung des Ruhrstadions sowie der Spruch „Tradition ist unverkäuflich“. Die Spieler hatten die Devise des Anhangs offenbar verstanden, denn die Tradition Bochumer Heimniederlagen gegen den FC Bayern München wurde nicht angetastet. Am Sonntagabend schlugen die Bayern den Ruhrpottgegner 2:1. In dreißig Bochumer Bundesligajahren war es bereits die 16. Heimniederlage gegen sie. Der einzige Traditionsbruch: Das Ganze fand nicht mehr im Ruhrstadion statt.

Wie Zweidrittel aller Bundesligisten spielt auch der VfL Bochum jetzt auf umgetauftem Grund. Die Umbenennung zum Rewirpower-Stadion ist aber eine besonders dubiose: Hier zahlt die 7,5 Millionen Euro nicht etwa ein Privatsponsor in die Vereinskasse, sondern die örtlichen Stadtwerke. Und die werben damit bundesweit für eine Strommarke, die es nur in Bochum, Herne und Witten zu kaufen gibt. SPD-Kommunalpolitiker haben den Kommunalversorger zu der indirekten Subvention für den Bundesligisten gedrängt. Darüber wäre fast die rot-grüne Stadtregierung zerbrochen, die Herzen einiger Anhänger sind es offenbar schon. Einige hundert Bochum-Fans demonstrierten gegen die Traditionsverkaufe. Nach der Heimpleite müssen die Fans das noch einmal überdenken: Denn dieser VfL braucht wirklich jede Hilfe, um in der Liga zu bestehen.

„Wir brauchen noch was“, seufzte Bochums Trainer Marcel Koller in der neu geschaffenen Mixed-Zone hinter den Kabinen, jemand mit „Technik und Tempo“ fehle. Kurz vor Ligastart hatte der Aufsteiger den Brasilianer Edu an Mainz verkauft. Ein Ersatz für den Stürmer wurde angekündigt, aber nicht gefunden: „Wir müssen gucken, was auf dem Markt ist“, murmelte Koller deprimiert, um dann doch in Mut zu machen: Es seien nur „Kleinigkeiten“ gewesen, die den Unterschied zwischen seinem Team und den Bayern ausgemacht hätten: „Wir sind nicht schlechter gewesen, nur weniger clever.“

Dass Bochum aber keineswegs dümmer war, sondern limitierter, dass „deutliche Unterschiede“ zu sehen waren, wie es Bayern-Manager Uli Hoeneß ausdrückte, bewiesen die zwei spielentscheidenden Szenen: Hilflos ließ VfL-Verteidiger Pavel Drsek kurz vor der Pause Roy Makaay an sich vorbeiziehen. Die Führung zum 2:1 besorgten die bayerischen Außenverteidiger: Willy Sagnol konnte ungestört flanken und Philipp Lahm ungestört einschießen. Den Bochumern war nach 60 Minuten die Luft ausgegangen.

Weil es vor dem ersten Abstiegs- und Aufstiegsknaller, dem Heimspiel gegen Energie Cottbus am Samstag, wenig Sinn macht, die eigenen Unzulänglichkeiten aufzudecken, glaubten auch die Bochumer Spieler an die Trainertheorie von den kleinen Dingen. Mannschaftskapitän Thomas Zdebel mäanderte eine Blutader auf der Stirn, als er nach dem Spiel von fehlender Konzentration sprach. Weil er dazu seinen Blick nicht von einem TV-Monitor lassen konnte, auf dem gerade Bundesliga-Classics gezeigt wurden, Köln gegen Leverkusen, fragte der Pole dann plötzlich verblüfft in die Presserunde: „Was ist das denn, Regionalliga?“ Auch der Vorbereiter von Fabio Juniors Ausgleich, Spielmacher Zvjezdan Misimovic, wusste in der Mixed Zone von viel „Hektik“ und „fehlenden Kleinigkeiten“ zu berichten. Da passte der spielintelligente Ex-Münchner aber auf, dass er bloß seinem alten Mannschaftskameraden Bastian Schweinsteiger zum Abschied auf die Schulter klopfte – Kleinigkeiten erhalten die Freundschaft.

Immerhin können die Aufsteiger den Fehlstart im neuen Rewirpowerstadion schon am kommenden Wochenende wieder ausbügeln. Gegen Cottbus, meinte Misimovic, wird dann die „Hütte brennen“. Und die Bochumer Stadtwerke setzten gestern eine Presseerklärung auf, die verheißt, dass „die Finanzierung der Stadionumbenennung nicht zu Lasten unserer Kunden geht“.

CHRISTOPH SCHURIAN