Auf der Suche nach den Verantwortlichen

Israelische Soldaten werfen der eigenen Führung schwere Versäumnisse im Libanonkrieg vor. Regierungschef Olmert möchte die Einrichtung einer offiziellen staatlichen Untersuchungskommission vermeiden. Doch der Kritik kann er nicht entkommen

AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL

Generalstabschef Dan Chalutz bemüht sich derzeit gemeinsam mit führenden Armeeoffizieren um Rechtsbeistand. Daran tut er gut, denn es wird Untersuchungen geben. In welcher Form das geschieht, soll Israels Oberstaatsanwalt Menachem Masus bis heute überlegen.

Immer lauter macht sich die Kritik an der Planlosigkeit von Regierung und Armee während des Libanonkriegs Luft. Entsetzt über den „Mangel an Entschlossenheit“ und der „unklaren Definition der Kriegsziele“, wandte sich gestern eine Gruppe von Reservisten an die Öffentlichkeit. Die „oberste Führung“ habe die Soldaten daran gehindert, „zu kämpfen und zu siegen“. Die Reservisten fordern in ihrem offenen Brief, den die Tageszeitung Ha’aretz abdruckte, „grundsätzliche Veränderungen“, auch personelle Konsequenzen.

Vergangene Woche hatte Verteidigungsminister Amir Peretz eine Untersuchungskommission ernannt, die unter dem Vorsitz des ehemaligen Generalsstabschefs Amnon Lipkin-Schachak Mängel im nachrichtendienstlichen wie operativen Vorgehen der Armee aufdecken soll. Problematisch ist das begrenzte Mandat der Kommission, die, so der militärische Analyst von Ha’aretz, Zeew Schiff, „keine Chance hat, die Wahrheit an die Öffentlichkeit zu bringen“.

Öffentlichkeit gewährleisten könnte dagegen eine offizielle staatliche Untersuchungskommission. Noch zögert Regierungschef Ehud Olmert mit seiner Zustimmung. Er präferiert eine Regierungskommission. Deren Vorsitzender und die Mitglieder würden dann von der Regierung ernannt. Über eine Veröffentlichung des Abschlussberichts würde ebenfalls die Regierung alleine entscheiden. Bei einer staatlichen Untersuchungskommission werden die Mitglieder dagegen vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofes bestimmt. Der vorsitzende Richter der staatlichen Kommission entscheidet über eine Veröffentlichung der Ergebnisse.

Zahlreiche Reservisten wollen die oft langwierigen Untersuchungen nicht abwarten. Seit Kriegsende formieren sich immer mehr Gruppen und kündigten Protestmärsche nach Jerusalem an, um den sofortigen Rücktritt des Premierministers zu erzwingen. Schon am Montag gab es eine kleine Demonstrationen gegen die „verrottete Führung“.

Die Eltern des 21-jährigen Refanael Muskal, der am zweiten Kriegstag fiel, organisieren für Freitag einen Autozug zum Büro des Regierungschefs in Jerusalem. „Es haben weit über hundert Leute angerufen“, resümiert Refanaels Mutter Riva das große Interesse unter Reservisten und den Eltern gefallener Soldaten. Die Muskals hatten „noch nach dem Tod von Refanael“ ihre Unterstützung für die Offensive bekundet, erzählt Riva, die über das Ergebnis des Kriegs enttäuscht ist. Aufgrund der „miserablen Vorgehensweise“ von Regierung und Armee habe Israel „die Abschreckungskraft eingebüßt“. Nächste Woche wollen Refanaels Eltern mit anderen in einen Sitzstreik treten und „solange vor dem Büro des Premierministers bleiben, bis er zurücktritt“.