Die Ziege als Symbol und Proviant

VIDEOINSTALLATION Alles, was man sieht, hat mehr als einen Sinn: In „The Return of the Axum Obelisk“, zurzeit in der daadgalerie ausgestellt, lenkt Theo Eshetu den Blick nach Äthiopien und nach Italien

Die Ziegen spielen schon in Mythen der Königin von Saba eine Rolle

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Irgendwann dominieren die Farben Grün und Weiß die 15 Bildschirme. Unter weißen umgelegten Tüchern strömen Menschen durch eine üppige grüne Vegetation. Im Bildfenster in der Mitte stehen zwei Männer mit laut zu hörenden Blasinstrumenten, die anderen Bilder sind symmetrisch gruppiert und gespiegelt, was den Sog in die Mitte verstärkt. Man stellt sich vor, eine Prozession zu sehen, von weit rufen die Bläser die Menschen, die zu Fuß die Berghänge hinabkommen. Dann schlagen Jungen Purzelbäume auf einem erdigen Feld, diesmal kullern sie von einem Bildfenster ins nächste, der Filmschnitt macht aus ihren kleinen Kunststücken große. Eine Ziege klettert in einem Baugerüst, auch sie vielfach gespiegelt. Das Baugerüst ist der Anziehungspunkt der Prozessionen, der Kinder und Tiere und das Zentrum der Videoinstallation „The Return of the Axum Obelisk“ von Theo Eshetu.

In Italien und in Äthiopien sind die Bilder entstanden, deren Montage Theo Eshetu vor allem nach visuellen Kriterien organisiert. Er hat gefilmt, als der Obelisk von Axum im Jahr 2005 – und damit 70 Jahre nachdem Mussolini die 24 Meter hohe Säule aus Granit als ein Beutestück aus der historischen Stadt Axum nach Rom hatte ent- und überführen lassen –, zurückgebracht und wiederaufgebaut wurde. Das ist ein sehr interessantes Kapitel von Restitutionsgeschichte; fast fünfzig Jahre dauerte es, bevor die 1947 beschlossene Rückführung tatsächlich ausgeführt wurde. Aber obwohl Eshetus Arbeit über aktuelle und historische Bilder verfügt, ist die Videoinstallation ganz anders organisiert, als es ein Dokumentarfilm wäre.

Denn nicht die Bilder zu erklären und Geschichte zu erzählen ist das erste Anliegen des Künstlers, sondern zu schauen, Bauarbeiter und Ingenieure zu beobachten, Zaungäste und religiöse Rituale. Er lässt sich von Farben und Formen treiben. Es gibt Prachtgewänder zu beobachten in religiösen Zeremonien und nachgespielten Mythen, es gibt das nächtliche Fackelmeer am Fuß der Baustelle, Musik von Nomaden und aus christlichen Messen. Was das alles bedeutet, bleibt offen.

Dabei hätte Theo Eshetu sehr viel über die Geschichte zu erzählen, über die Eroberungskriege Italiens in Afrika und verlorene Schlachten oder über den Standort der Säule in Rom. Sie stand vor einem Gebäude, das zuerst das Ministerium für das italienische Afrika beherbergte, dann die Leitstelle der United Nations für Ernährung und Landwirtschaft wurde. Eshetu lernte sie als Kind kennen, weil sein Vater dort arbeitete.

Das stellte sich bei einem Gespräch mit dem britisch-äthiopischen Künstler und ehemaligen Berliner daad-Gast heraus. Die beiden Kuratoren Koyo Kouoh und Bonaventure S. B. Ndikung befragten ihn, während die Bilder mit abgestelltem Ton weiterliefen. Je länger man sitzen blieb und zuhörte, je öfter sich die Bilder wiederholten, desto mehr erschloss sich die Schönheit ihrer Beiläufigkeit, der Beobachtung, wie es auf der Baustelle plötzlich hagelt und alle zwischen Blechen Schutz suchen.

Viele Elemente der Bilder auf den Monitoren haben eine symbolische Ebene. Die Ziegen zum Beispiel, sie spielen schon in Mythen der Königin von Saba eine Rolle, mit dem Fleisch einer vergifteten Ziege wurden die Drachen überlistet. Aber Ziegen sind auch im Alltag allgegenwärtig, sie übernehmen manchmal die Müllentsorgung oder sind lebendiger Proviant. Alles, was man sieht, hat mehr als einen Sinn.

Auch die Säule, Grabmal aus vorchristlicher Zeit, veränderte als Beutestück ihre Bedeutung, war in Rom erst thriumphaler Fingerzeig der Kolonialherrschaft und dann mahnendes Zeichen. Ihre Rückaneignung aber packt Eshetu eben nicht in große Gesten von nationaler Identität, historischen Gründungsmythen oder kultureller Eindeutigkeit. So erzählt er vom Transfer der Zeichen, der ihn mehr interessiert als ihre Kodierung. Denn sich ein Bild von der Welt zu machen, diese Arbeit will Eshetu dem Zuschauer nicht abnehmen – er stellt nur das Material zur Verfügung.

■ Theo Eshetu, „The Return of the Axum Obelisk“. daadgalerie, Mo.–Sa. 11–18 Uhr, bis 15. März