Etwas Gauck, etwas Streit

ORTSTERMIN SPD-Chef Sigmar Gabriel streitet mit Berlinerinnen und Berlinern, um Parteien und die reale Welt wieder näher zusammenzubringen

BERLIN taz | Am Ende ist er richtig sauer, der Parteichef rotiert durch den Saal. Eben hat ein junger Mann, Dreitagebart, längere Haare, ein politisches Streikrecht in Deutschland gefordert. Jetzt schnappt sich Sigmar Gabriel sein Mikro. „Das ist überhaupt keine gute Idee!“, schnaubt er.

Der junge Mann: „Es geht um das Machtverhältnis Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber!“

Gabriel: „Das führt dazu, dass die Demokratie kaputtgeht!“

Es ist das Ende der ersten SPD-Bürgerkonferenz am Samstag in Berlin-Kreuzberg. Was dort passiert ist, bahnte sich schon länger an. Irgendwann im Juni, die Kampagne der SPD für ihren Bundespräsidentschaftskandidaten Joachim Gauck schwang sich gerade von einem Höhepunkt zum nächsten, hat Gabriel aus der Euphorie um den Nichtpolitiker Gauck eine Erkenntnis gezogen: Auch die Sozialdemokraten müssen sich wieder den Menschen außerhalb der Parteien öffnen. Nun soll es eingelöst werden. Notfalls auch mit Streit.

Am Morgen beginnt noch alles friedlich, Gabriel lehnt an der Bühne im Stadtteilzentrum „Alte Feuerwache“ und schaut in eine Art riesigen Stuhlkreis. Hundert Menschen sind gekommen, überwiegend keine SPD-Mitglieder, es gibt belegte Brötchen und Kaffee. „Ich weiß nicht, ob sie sonst das Pech haben, politische Veranstaltungen besuchen zu müssen“, sagt Gabriel. Die seien ja oft langweilig. Diese soll anders werden, das hat Gabriel sich vorgenommen. In Kleingruppen diskutieren die TeilnehmerInnen, was sie unter „fair“ verstehen. Die Ergebnisse präsentieren sie am Nachmittag: Eine Gruppe fordert ein besseres Gesundheitssystem, eine Konsumverzicht, eine die Förderung der Jugend. In der Diskussion wird es dann auch mal lauter.

Hinter der Initiative steht ein ernsthaftes Problem: Die Mitgliederzahlen der SPD sinken stetig, trotz aktuell kleinen Aufwinds. Und die Mitglieder, die bleiben, werden immer älter. „Früher war die SPD die Partei der Lehrer – heute die der alten Lehrer“, sagt Gabriel. Damit die Konferenz kein einmaliges Ereignis bleibt, folgen Regionalkonferenzen. Und die Teilnehmer des Samstags lädt Gabriel zum Parteitag Ende September in Berlin ein. Das Motto: „Lassen Sie uns“, sagte der Parteichef, „mal ein bisschen im Streit bleiben.“ GORDON REPINSKI