Selbsthilfe ohne Öffentlichkeit

Super 8 aus dem Underground: Claus Löser zeigte im Arsenal 80er-Jahre-Filme als „Gegenbilder“ zur DDR

Acht sind gegen siebzig mehr als genug. Sozusagen als Kontrastprogramm zu den 70mm-Ambitionen der Defa präsentierte Claus Löser am Sonntag im Arsenalkino vier Super-8-Filme aus der Sammlung Ex.Oriente.Lux, dem Archiv für den filmischen DDR-Underground. Ein Abend der „Gegenbilder“ in jeder Hinsicht: Diese Filme waren nicht nur in ihrer eigenen Zeit als dekadent verpönt und wurden als „untypisch“ aus dem regulären Kulturbetrieb ausgeschlossen. Auch heute noch wird die DDR-Aufarbeitung von der Ostalgie-Show bis zur historischen Dokumentation praktisch vollständig aus offiziellen Quellen bebildert: Ausgerechnet diejenigen Perspektiven, die den Zensurapparat des Regimes passieren durften, bestimmen noch heute unser Bild von der sozialistischen Wirklichkeit.

Es waren vor allem die Maler, die Anfang der 1980er die Filmkamera als neues Medium der Expression für sich entdeckten. Weniger der „Biermann-Schock“ von 1976 als die Enttäuschung über die Reaktion der etablierten Kunstprominenz, die noch in ihrem Protest staatsnah blieb, gab einer neuen Generation von Künstlern und Galeristen den entscheidenden Impuls. Punk lieferte den Treibstoff und die Ausdrucksmittel dazu. In zahlreichen „Selbsthilfe“-Projekten wurde im privaten Rahmen artistischer Ungehorsam durchdekliniert, wurden halb- und illegale Ausstellungen, Konzerte und Lesungen knapp unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle organisiert.

Die mit wenig Aufwand und oft wie zufällig entstandenen Filme waren eine der Facetten dieses neuen Lebensgefühls. Über 150 davon hat Löser, selbst einmal aktiver Teilnehmer der Szene, für das Archiv zusammengetragen. Da findet in „Kino“ von Marion Achsnick das Punkkonzert im Wohnzimmer statt, der Schlagzeuger hat sein Equipment vor dem Sofa aufgebaut, der Sänger steht vor dem Bücherregal. Dagegen geschnitten sind öffentliche Straßenauftritte von FDJ-Chören, die Gesten der Chorleiter sind angespannt, hier darf kein falscher Ton entwischen. Mit drohendem Unterton verkündet eine Stimme: „Es gibt kein Kino mehr.“ Zumindest: „Nicht mehr lange.“ Kino, das heißt hier: etwas Schmutziges und Verbotenes tun. Heißt Libertinage und Maßlosigkeit.

Auch Thomas Werners „Sanctus Sanctus“ nimmt offizielle Rituale zum Anlass einer Absetzbewegung. Die Fernsehbilder der 1.Mai-Demonstration von 1988 kontrastiert Werner mit dem in Schwarzweiß gefilmten Protokoll seines eigenen Vorbeidefilierens als Teil der Belegschaft der Komischen Oper. Aus dieser Perspektive wirkt das Großereignis eher wie ein mäßig organisierter Sonntagsspaziergang: Für Luftballons scheinen sich die meisten mehr zu interessieren als für Fahnen. Nur der Operndirektor winkt und lächelt wie aufgezogen, solange sie die Tribüne der Politprominenz passieren, danach sinkt sein Arm. Die Müdigkeit der jungen Frau am Schießbudenstand, während der Kunde neben ihr wie frenetisch nachlädt, schießt, nachlädt, wirkt wie ein wundersames Vorzeichen des erschöpften Zusammenbruchs aller staatstragenden Rituale schon im Jahr darauf.

DIETMAR KAMMERER