Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Die Performance-Gruppe Ligna verwandelt öffentlichen Raum in Kulissen für andere Wirklichkeiten. Ob sie dem großstädtischen Massenmenschen ermöglichen, auf eine einsame Insel zu entkommen, oder ob sie historische Schichten von Orten freilegt, die wir täglich durchqueren, aber doch nie wirklich kennengelernt haben: Immer geht es Ligna auch darum, durch die Schärfung der Sinne die Handlungsspielräume auszuloten, die der Einzelne in der Komplexität der Gesellschaft hat. „Verwisch die Spuren“ heißt das Projekt, mit dem Ligna nun im Deutschen Theater angekommen ist. Inspiriert von der Figur des Flaneurs, der scheinbar zufällige Wahrnehmungen zu hochphänomenologischen Mosaiken seiner Umwelt zusammensetzt, werden die teilnehmenden Zuschauer zu teilnehmenden Beobachtern gemacht und mit Handys und Kopfhörern zum Alexanderplatz geschickt, wobei sie von akustischen Miniaturen heimgesucht werden und gelegentlich Handlungsaufforderungen erhalten. Ob man sich auf diesem Wege zur Marionette eines Kunstprojekts macht oder ob hier tatsächlich am Ende ein autonomeres und erfahrungsreicheres Subjekt Kopfhörer und Handy wieder zurückgeben kann, lässt sich ab Donnerstag feststellen, wenn um 19 Uhr im Foyer des Deutschen Theaters die erste Gruppe sich zum Aufbruch rüstet. Am Donnerstag eröffnet auch das Ballhaus Naunynstraße seine Spielzeit. Und zwar mit Nurkan Erpulats Schiller-Thriller „Verrücktes Blut, der nach dem Film „La Journée de la jupe“ die Geschichte einer Lehrerin erzählt, die ihre migrationshintergründige Klasse mit der Pistole zum Schiller-Lesen zwingt und sie dort Ehrenmorde und andere gegenwartsverwandte Dinge entdecken lässt. Und so Schillers Fragen der ästhetischen Erziehung des Menschen auf ungewöhnlichem Weg neue Aktualität verleiht.

■ „Verwisch die Spuren“. Deutsches Theater, Do.–So.

■ „Verrücktes Blut“. Ballhaus Naunynstraße, Do.–Di.