Von den Revisionisten vertrieben

GESCHICHTSPOLITIK Wegen zwei rückwärtsgewandter Vertriebenenfunktionäre zieht sich der Zentralrat der Juden aus der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zurück

Das Stiftungsunternehmen ist in eine schwere Legitimationskrise geraten

VON CHRISTIAN SEMLER

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann mitgeteilt, er werde seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ vorerst ruhen lassen und sie unter Umständen sogar beenden. Grund dafür sei die fortdauernde Präsenz zweier Vertriebenenfunktionäre, Arnold Tölg und Hartmut Sänger, im Stiftungsrat. Beide Funktionäre hatten sich durch Stellungnahmen exponiert, die die alleinige Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg bestritten und das nazistische System der Sklaven- und Zwangsarbeit mit der Zwangsarbeit Deutscher nach dem Krieg auf eine Stufe stellten.

Auch in der nachfolgenden, heftigen Debatte weigerten sich die beiden, von ihren Äußerungen abzurücken, geschweige denn, ihren Sitz zu räumen. Dabei wurden sie von der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, unterstützt. Steinbach erklärte, was Tölg und Sänger gesagt hätten, entspräche gesicherten historischen Erkenntnissen.

Die Affäre rief auch den Zentralrat der Juden auf den Plan, der hier eine unerträgliche Relativierung der Nazi-Verbrechen am Werk sah. Wie jetzt der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, an Neumann schrieb, hätte es zwar eine öffentliche Debatte nach der Benennung dieser beiden BdV-Vertreter in den Stiftungsrat gegeben, aber „eine nennenswerte substanzielle Bewegung oder gar erkennbare Revision dieser Entscheidung“ sei nicht sichtbar. Der Bundestag hatte – als Preis für den Verzicht Steinbachs auf ihre Mitgliedschaft im Stiftungsrat – dem BdV sechs Vertreter in diesem Gremium zugestanden. Auf deren und ihrer Stellvertreter Nominierung war dann vom Bundestag kein Einfluss mehr genommen worden.

Der Zentralrat der Juden hatte schon zu Beginn des Jahres eine Neuausrichtung der Stiftung gefordert. Schon damals hatte Salomon Korn, Vertreter des Zentralrats im Stiftungsrat, erklärt, er werde sein Amt ruhen lassen, wenn das Thema Vertreibung nicht im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen dargestellt werde. Es gebe, so Korn damals, „für uns klare Grenzen“. Offenbar ist der Zentralrat jetzt der Meinung, dass durch die Bestellung der beiden BdV-Funktionäre diese Grenze überschritten wurde. Denn: Die Vertreter des Zentralrats im Stiftungsrat würden keine Alibifunktion ausüben.

Das Stiftungsunternehmen ist mit der Erklärung des Zentralrats in eine schwere Legitimationskrise geraten. Die Chancen, Korn und seine Stellvertreterin Lala Süsskind zur Rückkehr zu bewegen, sind indes gering. Zu schwergewichtig ist der Einfluss des BdV auf Personalentscheidungen, Politik und künftige Arbeit der Stiftung. (mit epd)